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Arbeitsfrei – über technische und soziale Innovationen

18.02.2014

Von Benjamin Best

Constanze Kurz und Frank Rieger sind Sprecher des „Chaos Computer Club“ in Berlin. Für ihr gemeinsames Buch mit dem schönen Titel „Arbeitsfrei“ (Riemann Verlag, München Oktober 2013) haben sie einen erheblichen Rechercheaufwand auf sich genommen. Sie waren auf Bauernhöfen, in Fabriken, in Erdölraffinierien und haben sich in selbstfahrenden Autos kutschieren lassen; um zu beobachten, was das heißt: Menschen werden durch Maschinen ersetzt und Arbeit dadurch überflüssig. Leider ist das jedoch keine Vision für eine Postwachstumsgesellschaft.

Robotisierung macht auch vor wissensbasierten Berufen nicht Halt

Zunächst beschreiben Kurz und Rieger, wie technische Innovationen traditionelle Produktionsproduktionsprozesse verändern, beschleunigen und standardisieren – und dabei keinesfalls Halt bei wissensbasierten Berufen machen. So werden manche Sportberichterstattungen heute bereits vom Computer generiert und einfache ärztliche Diagnosen und Behandlung durch intelligente Assistenzsysteme erstellt. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Robotisierung ist, wie in einer modernen Mühle untersucht wird, ob Getreidekörner von der Norm abweichen. Tonnenweise Getreide fällt durch einen optischen Sortierer, eine Maschine, die jedes einzelne Korn von zwei Seiten mit Hochgeschwindigkeitskameras erfasst. Der Strom herabfallenden Getreides wird dazu aufgefächert, so dass alle Körner nebeneinander als dünner Vorhang an den Kameras vorbei fallen. Ist eins der Körner gebrochen oder weist Merkmale von Pilzbefall auf, wird es durch einen präzisen Druckluftstoß aus dem fallenden Getreidevorhang herausgeblasen (S. 73-74).

Peak Oil steht im Widerspruch zu technischen Innovationen

Solche Beobachtungen sind nah am empirischen Material, fast schon eine Art ethnographische Studie. Wenngleich Kurz und Rieger unmethodisch vorgehen, sind sie objektiver als manch wohlfeile Technikkritik, die ohne empirische Basis auszukommen glaubt. Dieses Vorgehen hat seinen Preis: manche der von Kurz und Rieger verfassten Berichte wirken so flach wie die Fernsehdokumentationen von „Galileo“. Bei einigen der raffinierten industriellen Prozesse macht man trotzdem große Augen, beispielsweise beim alltäglichen, hochkomplizierten und gefährlichen Zusammenspiel von entzündbaren Chemikalien, Infrastrukturen und Technologien in einer Erdölraffinerie. Doch obwohl Frank Rieger sich an anderer Stelle bereits mit „Peak Oil und der Vorbereitung auf den Weltuntergang“ beschäftigt hat, begrüßt „Arbeitsfrei“ durchweg die Robotisierung als Segen. Die Abhängigkeit von knappen natürlichen Inputs für die automatisierten Prozesse und Produkte, der Klimawandel und die Transformation zu einer Postwachstumsökonomie werden in dem Buch lediglich erwähnend behandelt.

Soziale Innovationen bleiben unberücksichtigt

Relevante Diskussionen aus der Postwachstumsforschung zur Reduktion und Umverteilung der Erwerbsarbeitszeit und Ausweitung der modernen urbanen Subsistenz ignoriert das AutorInnenduo völlig. Folglich geht es den beiden maximal darum, die Automatisierungsdividende gerechter zu verteilen, statt sie wie bisher zur Profitmaximierung einzusetzen. Kurz und Rieger fordern auch dazu auf, die technologische Alphabetisierung der Bevölkerung durch Bildung massiv zu steigern – um die Wettbewerbsposition Deutschlands weiter zu stärken. Damit umgehen sie die politische Frage: wie wollen wir leben? Welche Dinge wollen wir produzieren und was bringt eigentlich keinen gesellschaftlichen Nutzen? Lassen sich manche Konsumfunktionen auch durch nicht-technische Optionen lösen, zum Beispiel durch soziale Innovationen wie Gemeinschaftskonsum? Wo Gemüse gemeinschaftlich angebaut wird (etwa im Kölner „Gartenglück“), kultivieren Menschen eine soziale Alternative zu hochdifferenzierten Nahrungsmittelproduktion mitsamt ihres Energie- und Ressourcenbedarfs – wie Kurz und Rieger sie anscheinend favorisieren. Die Autoren bleiben gefangen in der Idee, auf Teufel komm raus technische Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen finden zu wollen. Sie fixieren sich zu sehr auf technologischen Wandel. Und stellen den gesellschaftlichen Wandel demgegenüber zurück.

Die Technikdiskussion ist noch nicht am Ende

Viele Wissenschaftler sind da meines Erachtens weiter, zum Beispiel die Technikhistorikerin Martina Hessler. Sie schlägt vor, dass soziale und menschliche Lösungen für das Problem Technik gesucht werden sollten, statt andersherum. Und der Soziologe Bruno Latour schreibt, es gehe um ein kollektives Experimentieren im Hinblick auf die möglichen Zusammenhänge zwischen Dingen und Menschen, ohne dass von nun an eine dieser Entitäten von der anderen als bloßes Mittel benutzt wird. Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass die Technik-Diskussion noch nicht am Ende ist und spannende Verbindungen zwischen Commons und Degrowth/Postwachstum erwarten lässt. Auf der Leipziger Degrowth Conference wird es eine Reihe von Veranstaltungen zu Degrowth und Technologien geben.

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