Der UN-Klimaprozess findet mit der 21. Conference of Parties in Paris in diesem Jahr einen weiteren Höhepunkt. Ziel ist die Verabschiedung eines verbindlichen, alle Staaten umfassenden Klimaabkommens, welches die Erwärmung der Atmosphäre auf maximal 2 Grad begrenzen soll. Ob es dazu kommt ist fraglich, denn die Klimaverhandlungen in Lima Ende 2014 haben erneut die divergierenden Positionen der Staaten gezeigt. Gleichzeitig werden bei aktuellen Trends die Klimaziele weit verfehlt. Wie so oft in internationalen Verhandlungen existiert eine Kluft zwischen Erkenntnis und Handeln: Obwohl das globale Risiko der Folgen des Klimawandels anerkannt ist, sind die bisherigen Maßnahmen ungenügend. Im Kern der Debatte steht die Frage, wie die Lasten des Klimawandels gerecht verteilt werden können. Welche Länder und Akteure tragen die Hauptverantwortung und müssen folglich welchen Beitrag leisten? Kann es Klimagerechtigkeit überhaupt geben?
Auf diese Frage geben verschiedene Konzepte von Verantwortung und (Klima-)Gerechtigkeit unterschiedliche Antworten. Aus den historischen Emissionen lässt sich Gerechtigkeit zum einen durch eine Lastenteilung entlang des Verursacherprinzips ableiten. Nach dem Motto „the polluter pays“ müssen diesem Konzept zufolge diejenigen Länder einen größeren Beitrag leisten, die in der Vergangenheit durch besonders hohe CO₂-Emissionen zum Klimawandel beigetragen haben. Ein zweites Verständnis von Klimagerechtigkeit nimmt die heutige ökonomische Position von Staaten als Ausgangspunkt, d.h. ein größerer Teil der Lasten muss von jenen Nationen übernommen werden, die wirtschaftlich besser dastehen. Diese Form der Lastenteilung berücksichtigt, dass es sich bei vielen der besonders stark vom Klimawandel betroffenen Staaten um wirtschaftlich schwächere Länder handelt. Die Unterstützung der vulnerabelsten Länder steht im Vordergrund. CO₂-Budgets repräsentieren eine dritte Form der Verantwortungszuweisung. Zuerst wird ein globales CO₂-Budget errechnet, das noch zur Verfügung steht, wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll. Anschließend wird dieses Budget unter allen Erdenbürger*innen aufgeteilt gemäß der Formel „one human – one emissions right“. Zwei Optionen bestehen dann: Entweder werden aus den Pro-Kopf-Budgets nationale Budgets errechnet oder es wird tatsächlich jedem Individuum ein bestimmtes Budget zugewiesen. In beiden Fällen wird hier über die historischen Emissionen hinweggesehen. Handlungsdruck ist dennoch gegeben, weil Staaten mit heute hohen Emissionen ihr Budget in nur wenigen Jahren aufgebraucht hätten. Der individuelle und von Nationalstaaten losgelöste Budget-Ansatz ist politisch explosiver, da hierdurch die Lebensweisen vieler Menschen – und vor allem der globalen Eliten - extrem einschränkt würde. Zugleich würde so eine weitaus größere Gerechtigkeit zwischen Individuen geschaffen. Eliten, die einen expansiven Lebensstil führen, erhalten gleiche CO₂-Budgets wie die Ärmsten der Armen und wären damit zu einem radikalen Umdenken gezwungen. Neben der Verteilung der CO₂-Budgets stellt die Frage nach ihrer Handelbarkeit einen weiteren strittigen Punkt in der Debatte dar (zu den verschiedenen Ansätzen siehe u.a. Birnbacher 2010; Duncan 2011; Klimabündnis Forschungsinstitiut 2012; Narain 2007; WBGU 2008).
Diese kurze Auflistung nur weniger Konzepte zeigt, wie komplex die Frage nach Klimagerechtigkeit ist, denn es spielen moralische, praktische und natürlich politische Erwägungen zusammen. Die Erfolge der Klimapolitik in den Industrieländern müssen kritisch betrachtet werden. Zwar gingen die CO₂-Emissionen dort in den letzten Jahren größtenteils zurück, doch verlief diese Reduktion relativ langsam. Zwischen 1990 und 2013 wurden die CO₂-Emissionen in der EU um 14% reduziert, in den USA nahmen sie um 6% zu. Das "Musterkind" Deutschland verzeichnet seit 2010 trotz dem Ausbau erneuerbarer Energien wieder steigende CO₂-Emissionen (BMWi 2014; PBL 2014; siehe Schaubild 1).
Schaubild 1: CO₂ -Emissioen der fünf Haupt-Emittenten und der EU. Quelle: PBL 2014: 14
Für zusätzliche Sprengkraft sorgt die Entwicklung der nationalen Emissionen der Schwellenländer. Denn mehr und mehr entwickeln sich die Schwellenländer Indien und China zu großen Emittenten. Unabhängig von Gerechtigkeitserwägungen wird klar, dass der Klimawandel ohne einen Richtungswechsel in ihrer Energie- und Rohstoffpolitik nicht aufzuhalten sein wird. Denn selbst eine Reduktion der europäischen und US-amerikanischen Emissionen auf null würde nicht genügen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen (siehe Schaubild 1+2, Tavoni et al. 2015). Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, dass diese Länder dringend zu einer klimafreundlichen Politik bewegt werden müssen, sie zugleich aber nach dem Verursacherprinzip eine geringe Verantwortung für den Klimawandel tragen. Und auch das Prinzip aktueller ökonomischer Stärke verortet die Hauptverantwortung im Kampf gegen den Klimawandel an anderen Stellen – insbesondere wenn man nicht auf nationale Indikatoren, sondern auf Pro-Kopf-Verteilungen von Einkommen und Emissionen schaut.
Schaubild 2: Emissions-Budgets einzelner Weltregionen, Quelle: Tavoni et al. 2015
In diesem Dilemma zwischen historischer und zukünftiger Verantwortung hat sich die internationale Gemeinschaft als Kompromisslösung auf die finanzielle Unterstützung der Schwellenländer durch die Industrienationen geeinigt. In diesem Sinne haben sie Maßnahmen wie etwa den Grünen Klimafonds zur Finanzierung klimaschützender Vorhaben ins Leben gerufen. Der Fonds soll Schwellen- und Entwicklungsländer bei der Reduzierung ihrer CO₂-Emissionen als auch bei der Umsetzung von Anpassungsstrategien an den Klimawandel unterstützen. Hierdurch verlagert sich die Gerechtigkeitsdebatte verstärkt auf die monetäre Ebene.
Zugleich darf der Fokus auf die Emissionen der Schwellenländer jedoch die historische Verantwortung der heutigen Industrienationen nicht in den Hintergrund drängen. Denn nur durch eine expansive und exploitative Wirtschaftsweise und die Nicht-Beachtung der ökologischen Grenzen unseres Planeten konnte das heutige Industrialisierungsniveau und der damit verbundene materielle Wohlstand erreicht werden. Zudem belegen die USA und die EU hinter China noch immer Platz zwei und drei in den globalen CO₂-Emissionen. Und der Blick auf die Pro-Kopf-Zahlen zeigt, dass China und Indien mit 7,4 und 1,7 Tonnen pro Kopf/Jahr weit hinter den USA und auch Deutschland liegen, wo Durchschnittsbürger*innen pro Kopf 16,6 bzw. 10,2 Tonnen pro Jahr produzieren (PBL 2014: 49). Auch aus diesem Grund haben Industrienationen eine besondere Handlungsverantwortung. Die finanzielle Unterstützung anderer Länder bei Klimaschutzmaßnahmen ist notwendig, aber nicht ausreichend. Die Länder im Globalen Norden müssen sich weitreichendere Klimaziele stecken. Und um diese zu erreichen, muss sich etwas Grundsätzliches bewegen!
Während sich die internationale Gemeinschaft auf ihren nächsten Klimagipfel in Paris vorbereitet, werden auf der Sommerschule 2015 "Degrowth konkret: Klimagerechtigkeit" alternative Lösungsansätze in den Blick genommen. Denn unabhängig davon, ob in Paris Ergebnisse erzielt werden oder nicht, verlangt globale Klimagerechtigkeit eine umfassende sozial-ökologische Transformation der Wirtschaften und Gesellschaften im Globalen Norden. Eine Abkehr von der bisherigen profitgetriebenen und auf stetiges Wachstum ausgelegten Wirtschaftsweise ist unumgänglich. Degrowth - verstanden nicht als bloße Wachstumsrücknahme, sondern als ebensolche radikale Transformation der Gesellschaft – bietet hierzu umfassende Ansätze. Diese reichen in die verschiedensten Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft hinein. Auf der Sommerschule werden die Zusammenhänge zwischen Klimagerechtigkeit und Degrowth diskutiert und Konzepte entwickelt, wie Gesellschaft und Wirtschaft jenseits der Wachstumslogik gestaltet werden können.
Die Sommerschule greift damit die Impulse der Degrowth-Konferenz auf, die im letzten Jahr mehr als 3000 Menschen zusammenbrachte, um solche Alternativen zu denken und diskutieren (siehe Panel „Climate justice and post-growth“, Workshop „Climate justice and degrowth: commonalities, resistances and alternatives“ und die special session zu „Post-extractivism and de-growth: Two sides of the same perspective?“). Diese Jahr wird die Debatte an den Ort einer konkreten politischen Auseinandersetzung getragen: mitten ins rheinische Braunkohlerevier, der größten CO₂ - Quelle Europas. Neben Keynotes und Podien finden mehrtägige Kurse statt. Hier sollen die vielfältigen Themen im Bereich alternativer Wirtschaftsformen und Klimagerechtigkeit vertieft werden. Außerdem soll an konkreten Ansätzen gearbeitet werden, mit denen Degrowth politisch umgesetzt werden kann. Der Mythos "Grünes Wachstum" ist ebenso Thema wie der Zusammenhang zwischen Klimawandel, Krieg und Migration sowie konkrete Konzepte für Verkehr, Arbeit oder Welthandel in einer Postwachstumsgesellschaft. Außerdem soll die Sommerschule ein Ort sein, an dem wir bereits beginnen diese Ansätze umzusetzen. Die Sommerschule findet in Kooperation mit dem Klimacamp statt und es wird Zeit sein für gemeinsames Lernen in Workshops, World Cafés und Camp-Organisation. Außerdem gibt es auf Sommerschule und Klimacamp eine Reihe von kulturellen Veranstaltungen, die sich kreativ mit den kritischen Fragen auseinandersetzen.
Auch über die Sommerschule im Rheinland hinaus sind Klimagerechtigkeit und Degrowth Programm. Im Juni findet eine Speakers Tour zum Thema Kohleausstieg, Postwachstum, Klimagerechtigkeit in verschiedenen deutschen Städten statt, die von attac, Rosa Lxemburg Stifung und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie organisiert wird. Außerdem widmet sich eine Sommerschule in Barcelona dem Thema "Degrowth and Environmental Justice" (6. - 15. Juni). Auf der Degrowth-Homepage und im Blog wird die Debatte inhaltlich begleitet (siehe die aktuellen Artikel von Tadzio Müller und Janna Aljets). 2015 wird ein entscheidendes Jahr für Klima, Gerechtigkeit und Degrowth!
“Wirtschaft ohne Wachstum” – so lautet erneut das Ausschreibungsthema für den Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und richtet sich an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen. Die Bewerbungsfrist endet mit dem 1. März 2016. Weitere Infos gibt es hier oder auf der Website der Vereinigung für Ökologische Ökon...
By Mark Burton Most ecological economists argue that continued economic growth is incompatible with ecological safety. That is to say continued increases in Gross Domestic Product, (GDP and also Gross Value Added, GVA) cannot happen while reducing ecological impacts in general, and climate change-causing greenhouse gas (GHG) emissions in particular. It isn’t a popular message, and is one that ...
Auf der Tagung der Attac Gender AG “Schneewittchen rechnet ab” am 3. November 2012 arbeiteten über 100 Teilnehmer_innen gemeinsam dazu, was (queer-)feministische Ökonomie leisten kann. Wo stößt sie an Grenzen und wie kann eine sinnvolle Weiterentwicklung gedacht werden? Welche Alternativen der Arbeit und der Produktion gibt es? Und nicht zuletzt: Wie wollen wir leben? Im [...]