Von Inge Lippert
Krise, Klimawandel, begrenzte Ressourcen, zunehmende soziale Spaltungen und steigende Arbeitslosigkeit zählen gegenwärtig zu den größten gesellschaftlichen Herausforderungen in Europa. Um diese zu bewältigen, ist ein sozial-ökologischer Umbau der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft erforderlich. Dieser Wandel wird oft verkürzt mit dem Modell der „Grünen Ökonomie“ beschrieben. Die grüne Wirtschaft soll den Gegensatz von Ökonomie und Ökologie aufheben und grünes Wachstum anreizen. Vor allem aber soll sie Bedingungen dafür schaffen, dass Ökologie nun kein „Jobkiller“ mehr ist, sondern zur Schaffung neuer und guter Arbeitsplätze beiträgt.
So nahtlos wie das Modell verspricht, gehen die unterschiedlichen Ziele allerdings nicht ineinander. Gerade beim Thema Arbeit klaffen Anspruch und Wirklichkeit zum Teil noch weit auseinander. Der DGB und seine Gewerkschaften fordern daher eine aktive und nachhaltige Industriepolitik, die die Schaffung ökologisch nachhaltiger Industriemodelle mit hohen Standards sozialer Nachhaltigkeit verbindet.In Deutschland wurde die These von der Grünen Ökonomie als „Jobmaschine“ lange Zeit bestätigt. Die eingeleitete Energiewende und das EEG haben in den Sektoren der Erneuerbaren Energien eine hohe Dynamik erzeugt und die Beschäftigung hier zwischen 2004 und 2011 mehr als verdoppelt. Seit 2012 schlägt das Pendel jedoch um. Die Beschäftigungsentwicklung in den Branchen der Erneuerbaren ist seither zum ersten Mal rückläufig. Die Einbrüche in der Solarindustrie und der deutliche Rückgang der Investitionen – außer bei Wind – haben dazu geführt, dass die Bruttobeschäftigung in diesem Jahr von 381.600 (2011) auf 377.800 Personen (2012) gesunken ist. Für 2013 wird eine weitere Absenkung erwartet.
Die Grüne Wirtschaft wäre jedoch falsch verstanden, wenn sie nur auf Branchen wie Solar und Wind begrenzt wird. Auch in den klassischen Wirtschaftszweigen und Wertschöpfungsketten (Automobil, Maschinenbau, Chemie, Rohstoffindustrie etc.) finden Prozesse der „Vergrünung“ statt, die in der Diskussion um die „Green Economy“ oft vernachlässigt werden. Wissenschaftliche Studien sehen aber gerade in diesen Prozessen enorme Beschäftigungspotenziale, die noch lange nicht gehoben sind. So geht das Ifeu-Institut davon aus, dass zusätzliche Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie zu einer Mehrbeschäftigung von 130.000 Erwerbstätigen pro Jahr führen können. Und eine Studie des DIW hat berechnet, dass allein durch eine ambitionierte Förderung der energetischen Gebäudesanierung rund 30.000 neue lokale Arbeitsplätze bis 2020 und 66.000 bis 2030 möglich sind – selbst wenn es zu Produktivitätssteigerungen kommt.
Die Industrie ist damit ein wichtiger Player auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Dies gilt vor allem für Deutschland, wo die Entwicklung hin zur De-Industrialisierung nicht in gleichem Maße vollzogen wurde, wie in anderen europäischen Ländern. Die deutsche Volkswirtschaft verfügt nach wie vor über eine starke industrielle Basis, die u.a. dafür gesorgt hat, dass die Wirtschaftskrise 2008/09 hier relativ schnell überwunden werden konnte. Die Funktionsfähigkeit dieser Basis kann nur erhalten werden, wenn die industriellen Kerne gestärkt und weiterentwickelt werden.
Dies setzt zweierlei voraus: erstens darf der Übergang hin zu einer grünen Ökonomie nicht zu einem Gegeneinander von „neuen“ und oft fälschlich als „alt“ bezeichneten Branchen führen. Eine aktive Industrie- und Dienstleistungspolitik muss vielmehr den Dualismus zwischen „grün“ und „nicht-grün“ überwinden und die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick nehmen, die sozial-ökologisch modernisiert werden muss. Zweitens dürfen die Entlastungen, die für energieintensive Unternehmen im EEG geschaffen wurden, nicht einfach fahrlässig über Bord geworfen werden. Die energieintensiven Industrien (Stahlwerke, Gießereien, Chemie-, Papier- Aluminium-, Zement- oder Lebensmittelindustrie) sind für die industriellen Wertschöpfungsketten und den Erhalt von Tausenden von Arbeitsplätzen in Deutschland unverzichtbar. Ihre Abwanderung in andere Länder, vor allem in Länder mit niedrigeren Umweltstandards, ist zudem aus ökologischer Sicht nicht wünschenswert. Energie- bzw. Umweltpolitik und Industriepolitik sind im sozial-ökologischen Wandel heute eng verknüpft.
Besonders groß sind die Spannungsmomente der Green Economy bei der Qualität der Arbeit. Die grüne Wirtschaft hat sich in Deutschland jedenfalls noch nicht durchgängig als Vorreiter für gute Arbeitsbedingungen erwiesen. Im Gegenteil: einige der sogenannten „grünen Branchen“ (insbesondere Solar- und Windenergie) sind sogar durch besonders prekäre Arbeitsbedingungen mit niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten, hoher Stressbelastung und geringen Mitbestimmungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Grüne Jobs sind damit nicht notwendigerweise auch gute Jobs.
Dieser Bruch zwischen ökologischer und sozialer Orientierung muss von der Politik aufgenommen und gestaltet werden. Niedriglöhne und prekäre Arbeitsbedingungen sind nicht nur aus Sicht der Gewerkschaften mit dem Ziel einer nachhaltigen Wirtschaftsweise nicht vereinbar. Ein nachhaltiges Wirtschaften setzt vielmehr das Gegenteil voraus: die Rückkehr zu einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung und einem Konzept „Guter Arbeit“. Fair und gut bezahlte Arbeit sichert den sozialen Frieden und stärkt die private Konsumnachfrage. Sie stellt in Verbindung mit ausreichender Qualifizierung ein wichtiges Element für die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft dar, die sich auf hohem technologischem Niveau bewegt und die Fähigkeit zu permanenter Innovation voraussetzt.
Ob die Photovoltaik in Deutschland zukünftig einen Pfad auf der „high road“ einschlagen kann, hängt unter anderem davon ab, ob die Beschäftigten und Arbeitnehmervertreter stärker beteiligt werden. Der DGB und seine Gewerkschaften haben daher zahlreiche Initiativen gestartet, um die Tarifbindung zu erhöhen und die Bildung von Betriebsräten voranzubringen. Bei der Entwicklung sozialer Innovationen (Verbindung von Arbeitsleben und Familie) besteht ebenfalls noch ein erheblicher Nachholbedarf.
Strukturwandel bedeutet immer, dass bestimmte Branchenteile oder Unternehmen aufgebaut und andere zurückgebaut oder konvertiert werden. Daher ist auch bei der Transformation zu einer Green Economy davon auszugehen, dass nicht nur neue Jobs entstehen, sondern auch bestehende Arbeitsplätze gefährdet werden.
Um zu verhindern, dass dieser Wandel zu Verwerfungen in der Beschäftigung führt, fordert der DGB ein verbindliches Konzept für faire Übergangsstrategien, das die Arbeitnehmerinteressen beim ökologischen Umbau von Industrie und Dienstleistungen maßgeblich mit berücksichtigt. Dies beinhaltet, dass in besonders betroffenen Sektoren Interessensausgleiche geschaffen werden, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern neue Perspektiven eröffnen und sie vor Arbeitslosigkeit schützen, wie z. B. regionale Strukturkonzepte, die neue Beschäftigung in den betroffenen Regionen aufbauen und Umschulungs- und Bildungsprogramme, mit denen die Qualifikationen und Kompetenzen auf die neuen Anforderungen in einem sich verändernden Arbeitsmarkt ausgerichtet werden.
Die Transformation zu einer umweltverträglichen und kohlenstoffarmen Wirtschaft wird nur erfolgreich sein und auf Akzeptanz stoßen, wenn der Netto-Beschäftigungseffekt dieses Wandels langfristig positiv ausfällt, d.h. negative Beschäftigungseffekte moderat ausfallen und/oder durch umweltfreundliche Beschäftigung überkompensiert werden.
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