Von Harald Klimenta
Seit einem viertel Jahrhundert ist eine zentrale Auswirkung der Globalisierung vor allem ein sich verschärfender Standortwettbewerb, der durch die geplante transatlantische Freihandelszone zwischen den USA und Europa (TTIP) weiter angeheizt wird. Es ist erklärtes Ziel aller Freihandelszonen, Markträume zu vergrößern und den Marktzugang ausländischer Unternehmen zu verbessern, also mehr Konkurrenz zu schaffen. So wird Konkurrenzfähigkeit zu einem Kernanliegen von Staaten(bünden) mit der Folge, dass Gestaltungseliten nur noch auf der Basis von Effizienz- und Kostengesichtspunkten handeln (können). Um eine Postwachstumsgesellschaft zu schaffen, benötigen wir aber vielfältige Gestaltungs- und Politikoptionen, die durch TTIP weiter reduziert werden. Anhand von zwei Beispielen will ich das verdeutlichen.
Vorsorgendes Wirtschaften ist ein Hauptanliegen jeder ökologisch bewussten Politik. Obwohl heute ausgestoßene Treibhausgase unser Klima erst in einigen Jahrzehnten verändern werden, müssen wir heute handeln. Obwohl an einer Chemikalie noch niemand gestorben ist, muss deren Giftigkeit vor der Zulassung erforscht werden. Obwohl das Fleisch hormongemästeter Rinder für den Menschen nicht unmittelbar schädlich ist, bleibt es in der EU vorsorglich verboten. Das Vorsorgeprinzip ist eine Denkform der europäischen Kultur, die in dieser Ausformung in den USA nicht institutionalisiert ist. Dort gibt man sich betont sachlich und fordert wissenschaftliche Beweise, etwa für die Giftigkeit oder Schädlichkeit von Prozessen, wenn der Staat sich anschickt, etwas verbieten zu wollen. Jenseits des großen Teichs ist zwar vieles erlaubt, aber die UnternehmerInnen wissen, dass Unfälle durch schädliche Verfahren, Chemikalien oder Lebensmittel exorbitante Schadensersatzforderungen nach sich ziehen können. Das ist auch ein Weg, ein gewisses Maß an Verantwortungsbewusstsein zu erzwingen. Allerdings muss die Schädlichkeit z.B. von Chemikalien von der Öffentlichkeit bewiesen werden, womit diese Herangehensweise bei unsicherer Datenlage Risiken gering schätzt – und Verbotsverfahren Jahrzehnte dauern können (DDT, Asbest).
In den Verhandlungen zur transatlantischen Freihandelszone haben US-Konzerne (und den Europäischen Konzernen ist dies ausdrücklich kein Dorn im Auge) in vielen Bereichen den Verhandlungsdelegationen zu verstehen gegeben, dass vor allem das europäische Vorsorgeprinzip nicht in ihrem Sinne, da teuer, d.h., ein Handelshemmnis ist. Ob nun die pausenlos bemühten Chlorhähnchen, hormongemästete Rinder oder aufwändige Zulassungsvorschriften für Chemikalien: In diesen Bereichen bedeutet das Ziel einer Schaffung von mehr Konkurrenz, dass die unterschiedlichen Zulassungspraxen weniger unterschiedlich gemacht werden. Wie genau, das weiß allerdings kein Mensch, schließlich wird im Geheimen verhandelt. Und wenn dies nicht gleich im Vertragswerk durchgesetzt wird, so sollen ExpertInnengremien mit Legitimation ausgestattet werden, um nach Unterzeichnung des Freihandelsvertrags eine Annäherung der Regulierungspraxen herzustellen.
Will man allerdings das Vorsorgeprinzip stärken und nicht schwächen, etwa um die Vermarktung von Stoffen oder die Zulassung von Verfahren auch auf Verdacht hin schnell rückgängig machen zu können, so kann man die gegenwärtigen Verhandlungen nicht gutheißen.
Der Kampf zwischen kleinbäuerlicher und industrieller Landwirtschaft ist in vollem Gange. Lohnsenkungen und eine größer werdende Fülle an Konsummöglichkeiten erzwingen und drängen Konsumenten zum Griff nach Billigprodukten; die Macht großer Handelsketten und der Preisverfall durch Überproduktion in einigen Bereichen tun ihr Übriges, um eine steigende durchschnittliche Gehöftgröße zu erzwingen, inzwischen seit Jahrzehnten. Ohne mit der Wimper zu zucken spricht man von „Monokulturen“, „Pestizideinsatz“, „Geflügelfabriken“ oder „Massentierhaltung“. Der Würdelosigkeit dieses Treibens stellen sich eine wachsende Zahl umweltbewusster BürgerInnen entgegen, Biosiegel veredeln hochpreisige Nahrungsmittel von Produzenten, die industrieartige Strukturen in der Landwirtschaft ekelhaft finden.[1]
Ziel des transatlantischen Freihandelsabkommen ist eine Senkung möglichst vieler Zölle auf Null und die Aufhebung von Mengenbeschränkungen, vor allem auch im Agrarbereich. Auf den einschlägigen Seiten der EU-Kommission über Zölle (Taric) findet man nach wenigen Klicks z.B. Zölle auf Jungrinder, die in der Größenordnung von 50 % liegen.[2] Fallen diese Zölle, so ist eine Wirkung absolut logisch: Die Preise für Rindfleisch werden sinken und die Gehöftgrößen in Europa werden weiter steigen, um mit US-amerikanischen Agrarfabriken mithalten zu können. Sinkende Preise für konventionelle Lebensmittel erhöhen gleichzeitig den Preisunterschied zu Bioprodukten – was die Verbraucherentscheidung für regionale Bioprodukte weiter erschweren wird. Wer diese Entwicklungen ungünstig findet, kann das geplante und auch jedes andere Freihandelsabkommen nicht gutheißen.
So lange internationale Beziehungen von Konkurrenzdenken durchzogen und nationale Regierungen auf Standortoptimierungen eingeschworen sind, fehlt der notwendige Gestaltungs- und Handlungsspielraum, um eine enkeltaugliche Welt zu schaffen. Das Freihandelsabkommen vertieft und zementiert den Standortwettbewerb. Das führt aus meiner Sicht zu folgenden Konsequenzen: Umweltverbrauch und -verschmutzung werden weiter steigern; regionale Wertschöpfungskreisläufe werden weiter marginalisiert; die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen und Regionen werden verringert, weil Freihandel deren ökonomischen Verflechtungen erweitert und die Folgen und Kosten von enkeltauglichen Regulierungen noch unüberschaubarer machen wird.
Wer regionalen, ökologischen Produkten zum Durchbruch verhelfen will, muss Regulierungen durchsetzen, die der Wirkung eines Freihandelsabkommens diametral zuwiderlaufen. Will man gar Wachstumszwänge überwinden und ein für die Bevölkerung solidarisches, zukunftsfähiges und demokratisches Wirtschaftsgefüge durchsetzen, benötigt ein Gemeinwesen Unmengen an Politikoptionen, die durch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA jedoch weniger werden. Durchzusetzen ist dagegen eine alternative Handelsagenda (wie z. B. unter www.alternativetrademandate.org ausgearbeitet), u. a. mit einem Vorrang von Menschenrechten vor Konzerninteressen, ein Recht auf Ernährungssouveränität und bindenden Umweltstandards (vgl. auch H. Klimenta, A. Fisahn, Die Freihandelsfalle, Hamburg 2014).
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[1] Dass es in der Branche Skandale gibt, ist trivial, überall gibt es schwarze Schafe. Skandale deuten hier eher darauf hin, dass es den Menschen dort noch nicht völlig Wurst ist, woher ihr Käse kommt.
[2] 10 % + 93 €/kg; die Erzeugerpreise in den USA liegen bei rund 2,14 Euro/kg, in Deutschland über 3 Euro/kg.
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