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Kein Klimaschutz ohne Klimagerechtigkeit; keine Klimagerechtigkeit ohne Degrowth

27.05.2015

Climate justice 11

Von Christiane Kliemann

Kurz vor der wichtigsten UN Klimakonferenz nach dem Scheitern von Kopenhagen nimmt die internationale Klimabewegung Fahrt auf: Der Widerstand gegen den Abbau fossiler Energieträger wächst und mit der erstarkenden globalen Divestment-Bewegung wächst auch der Druck, Gelder von fossilen Energien abzuziehen und stattdessen in Erneuerbare zu investieren. Erfolgsgeschichten von grünen Jobs im Sektor der Erneuerbaren machen die Runde und breite Kreise erkennen an, dass wir 80% der bekannten globalen fossilen Energiereserven in der Erde lassen müssen, wenn wir einen unkontrollierbaren Klimawandel noch aufhalten wollen. Bei der größten Klimademonstration der Geschichte strömten letztes Jahr mehr als 400000 Menschen in die Straßen von New York und der Glaube an eine Befreiung aus der Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas nimmt zu. Die Erneuerbaren werden immer effizienter und billiger und ihr globaler Siegeszug scheint ungebremst.

Dies sind natürlich gute Nachrichten und niemand, der oder die sich um das globale Klima sorgt, stellt ernsthaft in Frage, dass der globale Übergang zu erneuerbaren Energien absolut notwendig ist. Doch ähnlich wie rechte Konservative, vor allem in den USA, den von Menschen gemachten Klimawandel insgesamt leugnen, tendiert der Großteil der Klimabewegung zum Leugnen eines ebenso grundlegenden Sachverhalts: nämlich dass wir unseren westlichen wachstums- und konsumbasierten Lebensstil mit Erneuerbaren allein nicht aufrechterhalten werden können.

"Erneuerbar" ist nicht gleich "unbegrenzt"

Die Beschränkungen von Erneuerbaren und ihre Auswirkungen auf die Umwelt werden in aller Ausführlichkeit anderswo diskutiert. So sei hier nur darauf hingewiesen, dass z.B. die Produktion von Windrädern und Solarmodulen energieintensiv und zudem auf andere natürliche Ressourcen wie Metalle, Mineralien und seltene Erden angewiesen ist. Windräder brauchen Massen an Beton; eine besonders kohlenstofflastige Industrie. Photovoltaiksysteme verbrauchen durchschnittlich 23-59 Kilogramm Aluminium per Kilowatt – eine weitere kohlenstoffintensive Industrie. Somit ist "erneuerbar" keineswegs gleichzusetzen mit "unbegrenzt". Ganz abgesehen von den üblichen blinden Flecken der grünen Technik-Freaks: den wachsenden Sektoren Transport, insbesondere Flugverkehr, und industrielle Landwirtschaft, für deren mittelfristige Zukunft noch keine ernstzunehmenden CO2-freien Szenarios existieren. Bereits jetzt ist der Wettbewerb um Böden zwischen Nahrungsmittelproduktion, klimarelevanten Wäldern, Energiepflanzen, Verkehr und industrieller Infrastruktur angespannt. Was wäre, wenn noch Millionen von Windrädern und Solarmodulen hinzukämen, einzig und allein, um den Verkehr anzutreiben? Oder schlimmer, Energiepflanzen für die sogenannten "Biokraftstoffe"? Und woher kämen die Ressourcen und die Energie um solch massive Infrastrukturen überhaupt aufzubauen, inklusive der benötigten Batterien?

Hinzu kommt noch die zumeist unhinterfragte Annahme, die rechtmäßigen Forderungen der Armen im Globalen Süden (und anderswo) nach besseren Lebensbedingungen seien nur oder am besten durch die Übernahme westlicher Entwicklungs- und Konsummuster zu erfüllen. Aus ökologischer Perspektive ist diese Annahme absurd, selbst wenn wir so schnell wir könnten die ganze Welt mit Erneuerbaren pflastern würden. Aus der Perspektive von sozialer Gerechtigkeit steht natürlich außer Frage, dass prinzipiell gleiche Rechte für Alle gelten müssen – inklusive des Rechts des Globalen Südens, denselben Entwicklungspfad einzuschlagen wie der Norden.

Die Umweltbewegung der Armen und ihr Kampf für soziale Gerechtigkeit

Die unzähligen sozialen Konflikte um den Abbau und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zeigen jedoch, dass diese Annahme auch vom Standpunkt der sozialen Gerechtigkeit absurd ist. Denn mit dem Überschreiten einer planetarischen Grenze nach der anderen findet die Übernutzung aller möglichen natürlichen Ressourcen zunehmend auf Kosten anderer Menschen statt. Indem sie den Sorgen dieser Menschen Ausdruck verleiht, weist die Umweltbewegung der Armen auf die Verbindung zwischen sozialen und ökologischen Problemfeldern hin und fordert eine andere Art Wachstum für den Globalen Süden. Ein solches Wachstum beinhaltet unter anderem den Ruf nach alternativen und radikaldemokratischen Methoden, natürliche Ressourcen sowie Technologien zu verteilen, zu nutzen und zu kontrollieren. Die indische Klimagerechtigkeitsaktivistin Sunita Narain beschreibt dies so:

[Menschen im Süden] "werden die Gesellschaft neu aufbauen müssen, indem sie in allen Dörfern und Städten ihrer Welt die Sicherheit an Nahrungsmitteln, Wasser und Lebensgrundlagen lokal neu aufbauen. Während sie dies tun, werden sie das kapital- und materialintensive Wachstumsparadigma des industrialisierten Nordens neu erfinden müssen, welches die Kluft zwischen arm und reich verbreitert. Sie werden Dinge anders machen müssen in ihrem eigenen Hinterhof. Aber diese Länder werden vor allem die Stimme derjenigen sein müssen, die keine Stimme haben, sodass sie im Interesse aller einen Wandel der Regeln der Globalisierung fordern können"

Anderes Wachstum im Süden braucht Degrowth im Norden

Um eine solche andere Art von Wachstum erfolgreich aufbauen zu können, benötigen die Länder des Südens ihren fairen Anteil an den globalen Ressourcen, welcher höher sein muss als das, was der reiche Norden übrig lässt. Deshalb müsste der Norden seine Emissionen und seinen Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren, was jedoch im Rahmen von unendlichem kapitalistischem Wachstum unmöglich ist. Nach einer bahnbrechenden Studie aus England müssen die frühindustrialisierten Länder ihre Klimagasemissionen um 8-10% jedes Jahr reduzieren, um innerhalb ihres Anteils am globalen Kohlenstoffbudget zu bleiben. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU) übersetzt dies in individuelle CO2-Fußabdrücke von nur 2,7 Tonnen jährlich im globalen Durchschnitt. Ein simpler Vergleich mit den 11,2 Tonnen, die z.B. der oder die durchschnittliche Deutsche in 2011 ausgestoßen hat, zeigt, dass eine solch radikale Reduktion nicht erreichbar ist, ohne die im Überfluss schwelgenden Lebensstile der meisten Menschen im Globalen Nordens grundlegend zu verändern.

Und diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf den Klimawandel. Im Zusammenspiel mit anderen planetarischen Grenzen wird noch deutlicher, dass wir uns nicht einfach auf technischen Fortschritt verlassen können, ohne das gesamte ökonomische, soziale und politische Umfeld zu verändern, in dem dieser eingebettet ist. Wie viele Beispiele in der Geschichte zeigen, tendieren rein technologische Lösungen dazu, ihre negativen Nebenwirkungen in andere Sektoren, Regionen, Ökosysteme oder direkt in die Zukunft zu verlagern.

Klimagerechtigkeit und Klimaschutz: das Eine ist unmöglich ohne das Andere

Wenn wir noch eine realistische Chance haben wollen, den Klimawandel in einem akzeptablem Umfang zu stoppen, ist das Konzept der Klimagerechtigkeit essentiell, vor allem im Globalen Norden. Unbeschadet jeglicher ethischer Überlegungen ist dies einfach eine praktische Notwendigkeit. Wenn sogar wir im Globalen Norden mit all unserem materiellen Überfluss, unserem Kapital und technologischem "Fortschritt" unfähig sind, unsere Emissionen auf das benötigte Niveau zu senken, können wir dies realistischerweise kaum vom Globalen Süden erwarten, wo Millionen Menschen immer noch ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht erfüllen können. Ohne dass der Norden seinen fairen Anteil beiträgt, werden z.B: die BRICS-Staaten weder fähig noch willens sein, eine größere Verantwortung für den Schutz unseres Klimas zu übernehmen – und die Temperatur wird weiter steigen während sich die globale Gemeinschaft in Diskussionen über Scheinlösungen wie Grünes Wachstum ergeht.

Die globale Sicherheit ist ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. Vieles weist darauf hin, dass Klimawandel und Ressourcenengpässe zu endlosen Kriegen führen werden und dass Dürre und Nahrungsmittelknappheit bereits zur Destabilisierung des Nahen Ostens beigetragen haben. Das Leid der Flüchtlinge, die derzeit im Mittelmeer ertrinken ist nur ein kleiner Ausblick auf die Katastrophen, denen wir begegnen werden, wenn Klimawandel und andere Ressourcenknappheiten große Teile der Erde unbewohnbar machen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist offensichtlich, dass soziale Stabilität eine Voraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz ist, genauso wie Umweltgerechtigkeit und ein stabiles Klima Voraussetzungen für soziale Stabilität sind. Verzweifelte Menschen scheren sich nicht ums Klima wenn ihr tägliches Überleben bedroht ist.

Wenn wir den Klimawandel ernsthaft aufhalten wollen, ist es deshalb wichtig, die Verbindungen zwischen allen bestehenden sozialen und ökologischen Problemfeldern und dem Klimawandel aufzuzeigen, und anzuerkennen, dass wir uns vom Pfad immerwährenden Wachstums verabschieden müssen. Wie die kanadische Autorin und Aktivistin Naomi Klein in ihrem neuesten Buch "Die Entscheidung" schreibt, geht es inzwischen um nichts weniger als die Entscheidung zwischen Kapitalismus oder Klima. Die Situation ist inzwischen so dramatisch, das alle üblicherweise diskutierten Lösungen zu kurz greifen. Für die internationale Klimabewegung kann dies jedoch heißen, dass sie die historisch einmalige Chance hat, einen kompletten Systemwechsel anzustoßen – die letzte Chance für das Klima. Die Argumente für ein neues ökonomisches und soziales Paradigma jenseits von Kapitalakkumulation und permanentem wirtschaftlichem Wachstum sind so stark wie nie.

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