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„Corporation 2020“ – Durch volkswirtschaftliche Bilanzierung nachhaltiges Wirtschaften stärken?

17.04.2014

Von Tim Aeberli

Während meiner Zeit an der Universität wurde ich im Rahmen eines Workshops zum Thema „Resourcenknappheit“ mit folgender Grafik konfrontiert:

Quelle: Wikimedia

Die Grafik beschreibt wie Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt voneinander abhängen. Spezieller Augenmerk liegt auf dem Machtverhältnis zwischen den einzelnen Einheiten: Ohne die Gesellschaft kann keine Wirtschaft existieren und ohne die Umwelt kann keine Gesellschaft existieren.

Pavan Sukhdev beschreibt in seinem Buch „Corporation 2020“, wie einerseits die Schäden an der Umwelt, die durch wirtschaftliche Aktivität von Unternehmen verursacht werden, bilanziert werden können, und anderseits der Nutzen wirtschaftlicher Aktivität für die Umwelt dargestellt werden kann.

Externalitäten im Fokus

Die Kernaussage des Buches lautet: Unternehmen müssen ihre externen Kosten (die sog. „Externalitäten“) internalisieren. Ein erster Schritt dazu ist die Bilanzierung der von den Unternehmen verursachten externen Kosten mittels erweiterter Buchhaltungssysteme. Ziel ist es, so Sukhdev, die Vorhaben von Unternehmen und der Gesellschaft anzugleichen.

Darüber hinaus fordert der Autor nicht nur eine Bilanzierung der sozialen und ökologischen Kosten (und Gewinne) von Unternehmen per se, sondern ebenfalls die Aufnahme jener Bilanzierung in die Geschäftsberichte von Unternehmen. In der Folge würden auch Investoren über eine neue, bessere Grundlage für ihre Finanzierungsentscheidungen verfügen.

Das Versagen des BIP

Sukhdev sieht herkömmliche Bilanzierungswerkzeuge wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder Bruttonationalprodukt (BNP) als zu simpel und veraltet an. Die Indikatoren wurden zur Zeit des 2. Weltkrieges entwickelt, um eine rasche Produktion von Dienstleistungen und Gütern für den Krieg zu gewährleisten; sie sind also nicht mehr zeitgemäß. Eines der Kernprobleme des BIP beispielsweise ist die Tatsache, dass Einkünfte und Ausgaben gleichermaßen als Transaktionen in den Indikator einfließen; es gibt keine Unterscheidungskriterien für guten BIP-Zuwachs und schlechten.

Am Beispiel der Kohleindustrie verdeutlicht der Autor das Versagen des BIP. Die Industrie erscheint bei der Berechnung der volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen in einem neuen Licht. Die Kosten, die die gesundheitlichen Folgen der Kohleverstromung verursachen, übersteigen die erwirtschafteten Gewinne der Kohleindustrie (S.288). Die Berechnung des Anteils der Kohleindustrie am BIP der USA hingegen kann dieses Verhältnis zwischen Kosten und Gewinnnen nicht darstellen, sondern verbucht lediglich den Anteil der Industrie am BIP-Zuwachs. Oder um auf das Model von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt zurückzukommen: das BIP bilanziert jegliche Eingriffe in die drei Bereiche, positiver wie auch negativer Art, als postives, da arbeitsschaffendes Ereignis.

Statt veralteter Indikatoren: eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung unternehmerischer Tätigkeiten

Die Kampagne Corporation 2020 fordert daher, dass der Verlust und Zuwachs von Natur-, Sozial- und Humankapital in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung miteinbezogen werden muss. Bereits existent sind Bilanzierungssysteme, die den Wert von Naturkapital bemessen, wie beispielsweise das TEEB System. Doch wenige finden bisher Verwendung in Geschäftsberichten oder makroökonomischen Analysen. Sukhdev sieht hier einen klaren Handlungsbedarf: „Wenn es zutrifft, dass man nichts kontrollieren kann, was man nicht gemessen hat?, dann heißt das auch, dass man etwas weder messen noch kontrollieren kann, was man nicht sieht“ (S.245)

Der Unterschied zwischen Bilanzierung und Handeln

Ich finde es durchaus begrüßenswert, wenn ein Ex-Manager der Deutschen Bank einen Leitfaden für nachhaltige Unternehmensführung herausgibt. Unternehmen, Investor/innen und Banken vertrauen Sukhdev wohl noch eher als Branchen-fremden Überzeugungskünstler/innen. Gleichzeitig hat sein Buch das Potenzial, die Skepsis von Unternehmensführer/innen gegenüber nachhaltigen Wirtschaftsweisen abzubauen, indem es einerseits Branchengrößen wie Puma oder HP für ihr Engagement lobt, und gleichzeitig die ökonomischen Vorteile einer Bilanzierung und Verringerung von externen Effekten der Unternehmen klar zum Ausdruck bringt.

 Jedoch erwähnt Sukhdev nicht bereits vorhandene Initiativen, wie die Gemeinwohlökonomie oder die Postwachstumsbewegung, die sein Konzept der „Corporation 2020“ ergänzen und erweitern. In einem Interview mit DER ZEIT unterstreicht der Autor, dass für ihn die Debatte über Wachstum oder Postwachstum nicht von belang ist. Eine Postwachstumsgesellschaft in den reichen Industriestaaten würde den Ärmsten der Armen nicht helfen, die Grundsicherheit zu erreichen. Ein Fokus auf die Quantifizierung und Anerkennung von Natur und Sozialkapital hingegen würde den Armen zu Gute kommen.

Der quantitative Ansatz seines Buches – die Bilanzierung externer Kosten von Unternehmen – bringt ihm sicher viel Rückenwind von den Wirtschaftswissenschaftler/innen ein, es bleiben aber Zweifel, ob der Anreiz zu nachhaltigerem Wirtschaften für Unternehmen allein durch eine umfassende Bilanzierung stark genug ist. Werden Unternehmen den Mut haben, die Maßnahmen, die sich aus ihrer Bilanzierung ergeben, auch umzusetzen? Suhdevs Antwort: „Die Offenlegung der Folgen unternehmerischen Handelns für Umwelt und Gesellschaft ermöglichen es dem Konsumenten, durch seine Kaufentscheidung zu einem bedeutenden Teil des Wandels zu werden.“ (S.245) Weiter will der Autor, wie so oft bei Ökonom/innen, fiskale Stellschrauben einsetzen: Die Besteuerung des Energieverbrauchs, Pkw-Abgaben in Ballungsräumen, Subventionsabbau für fossile Rohstoffe und Agrarprodukte oder auch ordnungspolitische Maßnahmen, die beispielsweise für das effektive Management von Gemeinschaftsgütern sorgen.

Doch was ist mit der eigentlichen Begrenzung der Wirtschaftsleistung? Ist es nicht auch sinnvoll die Wirtschaftskultur zu verändern und nicht nur über Steuern „schlechtes“ Verhalten zu optimieren? Eine kritische Auseinandersetzung etwa zum gesellschaftlichen Sinn einer wachstumsgetrimmten Wirtschaft findet nicht statt. Vorbildcharakter hätte eine derart gestrickte Kritik, gerade aus dem Munde eines Bankers auf Ehrenamt-Auszeit.

Trotz allem hat „Corporation 2020“ das Potenzial, neue Zielgruppen für nachhaltiges Wirtschaften zu begeistern, die bislang kaum an der Nachhaltigkeitsdebatte teilgenommen haben: die Buchhalter/innen und Verwaltungsangestellten von Unternehmen. Plötzlich erscheint das teilweise recht verstaubte System von Einnahmen und Ausgaben, Soll und Haben an umweltpolitischer Relevanz zu gewinnen!

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Pavan Sukhdev (2013): Corporation 2020. Warum wir Wirtschaft neu denken müssen. München: oekom Verlag.

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