Logo degrowth

Blog

Degrowth in Bewegung(en) – ein Dialog der Alternativen

By: Christiane Kliemann

21.06.2016

Dib blog fahrrad 1

Endlich ist es soweit: Der erste Satz Texte und Videos aus dem Projekt "Degrowth in Bewegung(en)" ist jetzt online. Hier beleuchten Vertreter*innen verschiedenster sozialer Bewegungen das Thema Degrowth und benennen aus ihrer Sicht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Kritikpunkte an Degrowth. Ziel des Projekts ist ein offener Dialog- und Vernetzungsprozess, der den Austausch, das gegenseitige Lernen und die Entwicklung gemeinsamer Strategien fördern will.

Als ich 2013 zum Organisationsteam der Leipziger Degrowth-Konferenz stieß, hoffte ich noch naiverweise, Degrowth könne der konzeptuelle Rahmen sein, der die bunten und vielfältigen Bewegungen für einen umfassenden sozial-ökologischen Wandel zu einer kraftvollen neuen Bewegung zusammenführt. Denn einerseits orientieren sie sich alle an gemeinsamen Werten wie Kooperation, Solidarität, Selbstbestimmung und globaler sozialer und ökologischer Gerechtigkeit, kurz: dem guten Leben für Alle bei achtsamem Umgang mit der Erde und anderen Lebewesen. Andererseits ist die Abkehr von der Orientierung an immerwährendem Wirtschaftswachstum oder gar vom Kapitalismus eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung dieser Werte. Und die Degrowth-Bewegung selbst ist offen, bunt und vielfältig genug, um Anknüpfungspunkte für die vielen Alternativen bieten zu können.

Schnell, nicht zuletzt auf der Leipziger Konferenz selber, musst ich jedoch lernen: Noch bunter und vielfältiger sind diese Alternativen in ihrer Gesamtheit, und so verwehren sie sich mit Recht der Reduktion auf ein bestimmtes Konzept, sei es noch so offen und transformativ. Gleichzeitig aber träumen sie den Traum einer breiten, kraftvollen sozialen Bewegung, die der kapitalistischen Megamaschine mit all ihren zerstörerischen Auswirkungen die Stirn bieten und zeigen kann, wie viele Menschen es schon sind, die Wirtschaft und Gesellschaft von Grund auf anders denken und leben wollen.

Wo ist der gemeinsame Nenner und wer kann was von wem lernen?

 Im Spannungsfeld zwischen der Vielfalt der thematischen Ausrichtungen der einzelnen Bewegungen und dem Wunsch nach mehr Vernetzung und gemeinsamer politischer Sichtbarkeit will das Projekt „Degrowth in Bewegung(en)“ Räume für gegenseitiges Verstehen öffnen. Dazu gehört auch, bestehende Skepsis, Vorurteile und Missverständnisse gegenüber anderen Perspektiven zu diskutieren und die eigene Sichtweise dem kritischen Blick anderer zu öffnen. Um dies zu ermöglichen, beantworteten die beteiligten Autor*innen die folgenden Fragen:

  1. Was ist die Kernidee eurer sozialen Bewegung oder Strömung (wichtigste Kritiken am herrschenden System, zentrale Argumente, Alternativvorstellungen etc.), wie hat sie sich historisch entwickelt und was ist die Vorstellung sozialen Wandels?
  2. Wer ist in der sozialen Bewegung oder Alternativdiskussion aktiv und was machen sie? (Was ist die soziale Schichtung, wie sind sie organisiert, an welchen Orten, wer sind die Protagonist*innen, und welche Gruppen, Bündnisse oder Netzwerke gibt es?)
  3. Wie seht ihr das Verhältnis zwischen eurer Bewegung und Degrowth und wie könnte bzw. sollte es sich in den nächsten Jahren entwickeln? Wie ist das Verhältnis zu anderen sozialen Bewegungen? (Verhältnis bezieht sich z.B. auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Konfliktpunkte, Allianzen etc.)
  4. Welche Anregungen hat diese Bewegung an die Degrowth-Perspektive? (Was sind Leerstellen, unterbelichtete Bereiche und unterschätzte Probleme bei Degrowth, welche Themen, Fragen, Probleme werden einseitig oder gar nicht diskutiert und bearbeitet)? Welche Anregungen hat die Degrowth-Perspektive an diese Bewegung?
  5. Ausblick und Raum für Vision, Anregung und Wünsche: Aus Perspektive eurer sozialen Bewegung und dem Bezug zum Degrowth-Kontext, welche Möglichkeiten seht ihr für einen Ausbau einer starken gemeinsamen emanzipatorischen sozialen Bewegung im aktuellen polit-ökonomischen Kontext? Wie müsste eine größere soziale Bewegung ausschauen, wo ihr euch mit einfügt?
 

Die Texte und Videos, die diese Fragen beantworten und so Degrowth im Spiegel anderer emanzipatorischer Bewegungen zeigen, sind dabei nur ein erster Schritt: Schon im Oktober wird es ein erstes Treffen aller Akteur*innen geben. Auf einem weiteren Treffen im Frühjahr 2017 sollen die dort gewonnenen Erkenntnisse auch in Buchform erscheinen und mit mehr Vertreter*innen der verschiedenen Bewegungen diskutiert werden.

Das Spannendste an der Lektüre ist, dass sie, egal ob man in der Thematik neu ist oder sich schon lange mit den verschiedensten Alternativen beschäftigt, zu einem Perspektivwechsel und der Erweiterung der eigenen Sichtweise anregt. Gedanken wie "stimmt, so kann man das ja auch sehen", "wie interessant, daran hatte ich noch gar nicht gedacht" oder "ja, das muss ich in Zukunft mehr berücksichtigen, da hatte ich einen blinden Fleck" tauchen auf und machen Lust, andere Bewegungen und Akteur*innen näher kennenzulernen.

Damit es nicht zu viel Lesestoff auf einmal ist, werden die Texte in mehreren Etappen veröffentlicht. Es lohnt sich also, immer mal wieder auf der Projektseite vorbeizuschauen. Viel Spaß beim Stöbern!

 

About the author

Christiane Kliemann

More from this author

Share on the corporate technosphere


Our republication policy

Support us

Blog

54 einfache Veranstaltungen um die Welt zu verbessern – Ihr Finanzberater hasst sie!

Titelbild

By: Kai Kuhnhenn

In unserer letzten Telefonkonferenz des Web-Teams wurde ich gebeten, ein Zwischenfazit für den „Stream towards Degrowth 2016“ zu schreiben. Ein undankbarer Job, denn – so interessant und unterschiedlich die Veranstaltungen des Streams im Einzelnen sind – so uninteressant sind Zwischenfazits, die wohl- oder übel auf eher abstrakter Ebene arbeiten. Mein Kollege Christopher meinte ich solle einfac...

Blog

Collaboration and changing beliefs are two keys for a degrowth economy

By: Monica Picavea

By Monica Picavea Brazil is an amazing country, full of natural richness and blessed with many beauties. It has, however, a terrible sin on his shoulders: the thought that everything has to be done in a different, shorter, and faster way - in a way that takes advantage of everything. This is also why Brazil is currently undergoing a huge economic and political crisis, particularly reflected by...

Blog

Die Grenzen des (Post-)Wachstums – ein Reisebericht aus Can Decreix

Auf der Suche nach einer Zukunft jenseits des Wachstums haben wir, zwei Studierende aus Berlin, uns auf Reisen gemacht. Wir werden Orte besuchen, die bereits heute weit weg von Berlin und Brüssel gesellschaftliche Alternativen leben. Zuletzt berichteten wir über die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim in Köln. In diesem Beitrag teilen wir unsere Eindrücke aus unserer Zeit [...]