von Jana Holz und Miriam Fahimi
Während sich andere Workshops der Sommerschule zu Degrowth und Klimagerechtigkeit zum Beispiel mit dem Emissionshandel, den sozialen Konditionen des Klimawandels, makroökonomischen Bedingungen von Postwachstumsgesellschaften beschäftigten, haben wir uns vor allem mit uns selbst auseinander gesetzt. Dieses mit-sich-selbst-auseinander-setzen, das wurde jedoch schnell allen klar, ist von großer Wichtigkeit für die Bewegung, ihre Zukunft und ihr Selbstverständnis. Dem einstimmigen Bekunden, den Workshop nicht aufgrund der geschmacklichen Aussicht auf Karottensaft gewählt zu haben, folgten somit vier Tage spannender (Selbst-) Reflexion, Diskussionen und Inputs unter der angenehmen und inspirierenden Obhut Dennis Eversbergs (DFG-Forschungskollegs „Postwachstumsgesellschaften“ in Jena) und Matthias Schmelzers (Universität Genf, Paul Bairoch Institute of Economic History).
Was haben wir also vier Tage lang bei Kaffee, Schokolade, Spiel und Spaß, sowie den einen oder anderen technischen Hürden diskutiert?
Da die Degrowth Bewegung im deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs erst seit kurzem Aufmerksamkeit erhält, sollten uns die nächsten Tage im Wesentlichen dazu dienen, auf wissenschaftlicher Grundlage etwas mehr Licht in das noch undurchsichtige, aber buntgemischte Konglomerat der unterschiedlichen Akteur*innen zu bringen. Erhellen sollten uns dabei vorrangig die folgenden zentralen Fragen: Was für Menschen gehen zu einer Degrowth-Konferenz? Wer denkt was und auf welcher Basis? Welche Ansichten, Forderungen und Motive sind im (populär-)wissenschaftlichen Diskurs vertreten und welche werden hingegen eher von den Aktivist*innen geteilt? Wo lassen sich Überschneidungen, wo Brüche innheralb der Bewegungsakteur*innen identifizieren? Welche Personengruppen der Degrowth Bewegung wurden nicht erfasst, weil sie nicht auf der Konferenz 2014 in Leipzig waren beziehungsweise den dort verteilten Fragebogen nicht ausgefüllt hatten? Sowie schließlich: Welche Konsequenzen lassen sich daraus für strategische Planungen bezüglich zukünftiger Veranstaltungen, Aktionen oder Konferenzen ziehen? Und, muss der Karottensaft Teil dieser strategischen Planungen sein?
Der erste Workshoptag kreiste jedoch erstmal vorrangig um die Frage, warum eine Debatte über die Degrowth-Bewegung eigentlich geführt werden soll und was Degrowth ausmacht ("Wer sind wir überhaupt und wer nicht?"). Einig waren sich auch hier wieder alle: in Zeiten einer „multiplen Krise“ und eines„Peak Everything" läuten bereits „alle Alarmglock“ (switzadütscher O-Ton Kursteilnehmer) und Alternativen zum gegenwärtigen (Wirtschafts-) System sind längst überfällig. Barbara Muraca, derzeit Juniorprofessorin an der Oregon State University, erklärte, für sie liege der wesentliche Kern der Debatte um die Degrowth Bewegung in deren Potenzial, verschiedene schon bestehende Bewegungen und Ansätze zusammenzuführen und somit einen Rahmen und Raum für Alternativen zu schaffen. Dadurch könne Degrowth als eine „konkrete Utopie“ wirken.
Erst am zweiten Tag näherten wir uns dem Fundament unserer Fragen - nämlich der Auswertung einer Teilnehmer*innenbefragung auf der Degrowth-Konferenz im September 2014 in Leipzig. Die Basis dieser Befragung bildete ein vom Forschungskolleg „Postwachstumsgesellschaften“ entwickelter Fragebogen, der mit dem Programmheft während der Konferenz verteilt wurde. Mit der Analyse von 814 Fragebögen der insgesamt über 3000 Teilnehmer*innen der Degrowth-Konferenz lag unser Fokus somit auf den verschiedenen Akteur*innen, welche die Bewegung tragen und von der Bewegung getragen werden.
Neben der Erhebung sozio-demographischer Fakten wurden die Teilnehmer*innen zu ihren Alltagspraxen, ihrem gesellschaftlichen Engagement und Aktivismus, sowie inhaltlichen - teilweise in der Bewegung kontrovers diskutierten - Meinungen bezüglich (Post-)Wachstum befragt. Auf Basis dieser inhaltlichen Fragen kristallisierten sich in der Auswertung fünf verschiedene Personengruppen (Cluster) mit ähnlichem Antwortverhalten heraus. Diese fünf verschiedenen – in diesem Rahmen nur verkürzt und rudimentär darstellbaren – Cluster wurden von Matthias und Dennis am zweiten Workshoptag vorgestellt und schärften unseren analytischen Blick auf die Bewegung.1
Hier also ein erster Eindruck aus Input, persönlicher Wahrnehmung und Gruppen-Diskussionen: Da wären zuerst die "suffizienz-ortientierten Zivilisationskritiker*innen", welche sich vor allem in der Ökologiebewegung verwurzelt sehen und ihre eigene Utopie eines guten Lebens durch Projekte der solidarischen Landwirtschaft oder Ökogemeinschaften bereits verwirklichen. Die zweite Clustergruppe wurde mit "immanente Reformer*innen" betitelt und beschreibt damit die Befragten, welche den Bruch mit den heutigen politischen Institutionen nicht für zwingend notwendig halten, sondern Reformen innherhalb des Systems für ebenso wirksam befinden. Personen aus diesem Cluster zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie oft in gesellschaftlich etablierten Strukturen eingebettet sind und somit Zugang zu eben solchen haben. Die "voluntaristisch-pazifistischen Idealist*innen" stellen ein weiteres Cluster dar, welches sich weniger mit strukturellen Verhältnissen als mit individuellen Verhalten beschäftigt und im Vergleich zu den anderen Gruppen den größten Glauben an politische Institutionen (z.B. an eine Degrowth-Partei) hat. Das Cluster "modernistisch-rationalistische Linke" kann vielleicht am ehesten als klassische Linke verstanden werden, die das Richtige im Falschen ablehnt und auf die große Revolution hofft. Zu guter Letzt spielen die "Libertären Praxislinken" als Vermittler*innen zwischen einer ökologisch argumentierenden Zivilisationskritik und einer technikgläubigen Kapitalismuskritik eine wichtige Rolle. Sie verbinden in ihrem Engagement direkte Aktionen und Verändungen der eigenen Praxis mit systemkritischen Elementen.
Der dritte Tag stand zunächst im Zeichen der Selbstreflexion. Nachdem wir uns alle selbst innerhalb oder zwischen den fünf Clustern verorten sollten, wurden bald grundlegende Fragen über die eigentliche Relevanz und Bedeutungsschwere der verschiedenen Cluster laut. Denn die fünf vorher skizzierten Cluster der Degrowth-Konferenz stimmen nicht mit den üblicherweise definierten folgenden Diskursströmungen überein, nämlich konservative, sozialreformerische, suffizenzorientierte, kapitalismuskrische und feministische.2
Konservative Richtungen haben sich auf der Degrowth-Konferenz beispielsweise gar nicht wiedergefunden, während sich gleichzeitig mit den "Libertären Praxislinken" ein bisher im Diskurs noch wenig beachtete Gruppe konstituiert hat. Daran knüpften dann auch unsere Diskussionen am dritten Tag an: Geht die bisherige Wahrnehmung der Degrowth-Bewegung an den wahren Träger*innen der Bewegung vorbei? Natürlich können die Teilnehmenden der Degrowth-Konferenz nicht exemplarisch für alle Träger*innen der Degrowth-Bewegung stehen, bestand die Konferenz doch zum größten Teil aus jungen, akademischen, weißen Menschen. Trotzdem ist es relevant, im Hinterkopf zu behalten, dass der Fokus auf den (populär-) wissenschaftlichen Diskurs zu kurz greift und die wahren Träger*innen der Bewegung durchaus (kapitalismus-) kritischer sind, als teilweise angenommen wird.
Hier stellte sich auch eine weitere Frage, nämlich die zu potenziellen Brüchen und Streitpunkten innerhalb der Bewegung. Besonders das Verständnis der Art und Weise einer Transformation - zum Beispiel zwischen den Dimensionen top-down und bottom-up - und damit einhergehend das Verhältnis zwischen Staat und Herrschaft wirft einige Konfliktlinien auf. Auch die Unklarheit über den Stellenwert von sozialen vs. ökologischen Aspekten einer Transformation, sowie die unterschiedlichen Fokusse auf lokale vs. globale Veränderungsprozesse scheint Diskrepanzen zu erzeugen.
Die Frage, die sicher allen am meisten unter den Nägeln brannte und am vierten und letzten Tag diskutiert werden sollte, war die nach dem transformatorischen Potenzial der verschiedenen Cluster. Nachdem wir uns zunächst auf die einzelnen Cluster beschränkt hatten und uns uneigig darin waren, ob eines dieser Cluster als eine Avantgarde einer sozial-ökologischen Transformation angesehen werden kann, warf Nina Treu vom Konzeptwerk Neue Ökonomie ein, dass alle Cluster für sich einen Beitrag zu einer Postwachstumsgesellschaft leisten können. Die Frage sei nur, wie die verschiedenen Cluster so untereinander vernetzt werden könnten, dass ein auf gesellschaftlicher Ebene relevantes Potenzial für ein gegenhegemonielles Projekt entstehen könne.
Ein weiterer wichtiger Referenzrahmen bildet dabei die Aussicht auf die Degrowth-Konferenz 2016 in Budapest und die Möglichkeit, im Hinblick auf die Konferenz Veranstaltungen zu konzipieren, bei denen sich Menschen austauschen, streiten und Koalitionen schmieden können. Hier war in der Gruppe wieder Konsens, dass sich die Akteur*innen untereinander in ihren verschiedenen sozialen Kämpfen unterstützen müssen und dass Degrowth auch dezidiert eine Antwort auf bestimmte aktuelle Kämpfe (z.B. die Refugee Bewegung, Klimagerechtigkeit) sein sollte und das Potenzial dazu hat. Auch Skill Sharing und Workshops zur Veränderung von Alltagspraxen sollte dabei ein stärkerer Fokus von strategischen Planungen sein, um den glitzernden Degrowth-Zauber nicht schnell wieder im grauen Alltag untergehen zu lassen.
Mit diesen strategischen Überlegungen endeten die vier intensiven Tage in unserem Workshop-Zelt. Dabei haben wir uns am Ende ein Beispiel an unseren selbsreflektorischen Ansprüchen genommen und bleiben untereinander vernetzt. Übrigens, das einzigen Statement, dem fast alle 814 Befragten der Degrowth-Konferenz voll zustimmen konnten, lautete "Machen wir uns nichts vor: In den Industrieländern wird Schrumpfung notwendig sein." Dies zeugt schon mal von einem selbstreflektorischen Umgang mit Postwachstum und es stellt sich jetzt nur noch die Frage, nach dem wer-mit-wem und das dann noch wie, wann und wo. Darauf finden wir dann sicherlich beim nächsten Treffen eine Antwort.
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