Von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt
Das Statistische Bundesamt schreibt trocken: „Vor dem Hintergrund der steigenden Anforderungen an die Vergleichbarkeit des BIP hat die Europäische Kommission die Mitgliedsstaaten nun aufgefordert, auch verbotene Produktionsaktivitäten spätestens ab September 2014 in das BIP einzubeziehen. Konkret geht es dabei um Drogen, Schmuggel und Prostitution, die EU-weit als signifikant gelten.“ (Statistisches Bundesamt). Wer auch wissen will, wie das Statistische Bundesamt zu den Zahlen kommen wird, der lese dieses Dokument.
Die statistischen Ämter sagen aktuell noch nichts über das zu erwartende BIP-Wachstum, sondern verweisen auf September 2014. Dann dürfte das BIP in manchen Ländern durchaus einen Sprung machen, weniger in Deutschland, wo Drogen- und Schmuggelaktivitäten das BIP 0,1% erhöhen dürften, aber in anderen Ländern durchaus mehr: Z.B. in Spanien, denn es ist laut El Mundo der Drogendealer Europas. Italien kann sein BIP dank den Aktivitäten der verschiedenen Mafia-Clans auffrisieren. Die süditalienische Mafia Ndrangheta hatte 2013 einen Jahresumsatz von 53 Milliarden Euro (2,7% des italienischen Bruttoinlandsprodukts). Die anderen Clans dürften noch weiteres beibringen. Zwar gehen - noch nicht? - alle Mafiaaktivitäten ins BIP ein, gleichwohl: Mafiöse Aktivitäten werden gesellschaftsfähig! Es lebe Europa als Wertegemeinschaft!
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen erscheint der Hinweis des designierten EU-Kommissionspräsidenten Juncker in seiner Rede vom 15.7.14 in neuem Licht: An den Stabilitätsversprechen werde nicht gerüttelt, aber technische Änderungen kämen in Betracht! Hat er da an die „technische“ Änderung der Berechnungsmethode des BIP gedacht?
Wohl weniger die statistisch-bürokratische Vergleichbarkeit als vielmehr der Druck, ein höheres BIP aufzuweisen, um besser vor den Ratingagenturen dazustehen und näher an die verschiedenen Stabilitätskennziffern zu kommen, dürften der Grund für diese Verletzung von Rechtskultur und gesellschaftlich-zivilisatorischen Werten sein. Eine still und leise gesetzte Verletzung, ohne öffentliche Diskussion und gerechtfertigt als statistischer Sachzwang! Wie soll das BIP ernsthaft für die Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft zugunsten des Gemeinwohls eingesetzt werden können?
Feministinnen kritisieren schon seit Jahrzehnten, dass es volkswirtschaftlich vorteilhafter ist, wenn Haus-, Erziehungs-, Sorgearbeit mit Lohn entgolten, statt innerhalb einer Familie unentgeltlich geleistet wird, und sie fordern seither, zumindest das geldliche Äquivalent dieser Leistungen in das BIP einzubeziehen. Nach den neusten Anpassungen schafft also weiter nicht die unentgeltliche Familienarbeit volkswirtschaftlichen Wert, sondern wir werden leistungsfähiger, wenn der Drogenhandel blüht, Osteuropäerinnen nach Westeuropa geschleust werden, um sich zu prostituieren, und Zigaretten geschmuggelt werden! Das BIP hat definitiv keine Legitimation mehr!
Kommentieren Sie diesen Artikel auf dem Blog PostwachstumAm 8. Oktober veröffentlichte der IPCC seinen Sonderbericht über 1,5°C Erwärmung. Aus diesem aktuellen Anlass reposten wir Kai Kuhnhenns kritischen Blogbeitrag zu Klimaschutzszenarien der auf einer längeren Analyse fußt. Im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung hat Kai seine Kritik auch nochmal auf die Szenarien des IPCC zugespitzt, die entsprechende Kurzstudie findet sich hier. Wir alle benutz...
Degrowth has been described as a “movement” rather than an ideology1, and as such it presents several variations. For some of its proponents, degrowth is a proxy for sustainable consumption, and to a lesser extent production2. A second group of degrowth advocates are those for whom an emerging discussion of “sufficiency” as a societal norm is taking shape, as a result of activism3. Finally, a t...
Das Ende der Geschichte und der großen Erzählungen wurde verkündet und die Zukunft ist kein positives Versprechen mehr. Die gesellschaftliche Diskussion kreist trotz wirtschaftlicher und ökologischer Krise um ein scheinbar alternativloses Gesellschaftsmodell, das den Wachstumszwang des globalen Kapitalismus nicht zu hinterfragen wagt. Können jene Ideen, die sich um Begriffe wie Postwachstum und Degrowth scharen, die Alternativlosigkeit [...]