Der Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie ging dieses Jahr an Matthias Schmelzer, Corinna Burkhart und Dirk Posse. Die Verleihung des mit 5.000 Euro dotierten Preises zur wissenschaftlichen Nachwuchsförderung fand am 5. September auf einer feierlichen Veranstaltung im Rahmen der Degrowth-Konferenz statt. Aus den 25 eingereichten Studien wurden drei für einen Preis ausgewählt.
Der Historiker Dr. Matthias Schmelzer erhielt 2.000 Euro für seine an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder geschriebene Dissertation zum Thema „The hegemony of growth. The making and remaking of the economic growth paradigm and the OEEC/OECD, 1948-1974“. Die wirtschaftshistorische Dissertation geht der Frage nach, wie es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu gekommen ist, dass Wirtschaftswachstum fast überall auf der Welt als ein selbst-evidentes Ziel von Wirtschaftspolitik gilt und das Bruttoinlandsprodukt sich als wichtigste Maßeinheit für wirtschaftliche Aktivität global durchsetzen konnte. Hierzu wurde die Entwicklung der ökonomischen Expertise, Standards und Normen zu Wirtschaftswachstum innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und ihrer Vorgängerorganisation (OEEC) untersucht. Es konnte gezeigt werden, wie Wachstum zunehmend als universeller Maßstab für einige der grundlegendsten gesellschaftlichen Ziele wie Fortschritt, Wohlfahrt und nationale Macht angesehen wurde und dass Wachstum seitdem immer mehr als das zentrale Allheilmittel für eine Vielzahl von sich immer wieder wandelnden gesellschaftlichen Herausforderungen gilt. – Die Jury überzeugte vor allem die detaillierte Beschreibung und Analyse der institutionellen Änderungen, welche das Wirtschaftswachstum als wirtschaftspolitisches Ziel in den Mittelpunkt rückten.
Die Umweltwissenschaftlerin und Human-Ökologin Corinna Burkhart erhielt ein Preisgeld in Höhe von 1.500 Euro für ihre an der Lund University (Schweden) geschriebene Masterarbeit „Who says what is absurd? – A case study on being(s) in an alternative normality“. Anhand des Beispiels Can Decreix, einem südfranzösischen Zentrum für praktische und theoretische Experimente zum Thema Wachstumswende, diskutiert die Arbeit, wie sich materielle, organisatorische und vor allem mentale Strukturen an einem solchen Ort radikal verändern können und so etwas wie eine „alternative Normalität“ entstehen kann: Was vorher in der am Wachstumsparadigma orientierten Lebenswelt unhinterfragt als „normal“ betrachtet wurde, erscheint vor dem Hintergrund der neuen Erfahrungen plötzlich als „absurd“. Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass es für die aktive Förderung gesellschaftlichen Wandels notwendig ist, experimentelle Orte wie Can Decreix zu schaffen, an denen Gewohntes infrage gestellt, die Absurdität des so genannten „Normalen“ erfahrbar wird und konkrete alternative Erfahrungen in einer Postwachstumsgesellschaft gemacht werden können. – Die Jury sah in dieser Arbeit einen substanziellen Beitrag zur Lebensstilforschung. Genau hier klaffe inmitten einer ansonsten eher technikzentrierten Nachhaltigkeitsorientierung die größte Forschungslücke, so die Jury in ihrer Begründung. Die Arbeit beschreite außerdem methodisches Neuland, indem exemplarisch vorgeführt wird, wie durch teilnehmende Beobachtung neues Transformationswissen gewonnen werden kann.
Der Wirtschaftswissenschaftler Dirk Posse erhielt ein Preisgeld in Höhe von 1.500 Euro für seine an der Universität Oldenburg verfasste Masterarbeit „Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft. Eine theoretische und empirische Untersuchung“. Um den wachstumskritischen Diskurs auf die praktische Unternehmensebene zu übertragen, analysiert die Studie anhand konkreter Beispiele die bislang wenig untersuchte Rolle von Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft. Die Arbeit fragt nach den Gründen, warum die Orientierung an quantitativem Wachstum für Unternehmen so attraktiv ist. Sie zeigt zugleich auf, mit welchen Strategien Unternehmen derzeitige Wachstumstreiber überwinden und als Pioniere des Wandels zu einer Postwachstumsgesellschaft beitragen können. Die ausführliche theoretische Auseinandersetzung ergänzt eine empirische Untersuchung von Pionierunternehmen im Ernährungssektor. – Die Jury überzeugte – neben der breiten Aufarbeitung einschlägiger Literatur – die Identifikation und Zusammenstellung von Wachstumstreibern in Unternehmen, was bislang in der Wissenschaft so nicht geleistet wurde, sowie die Übertragung in strategische Ansatzpunkte für Unternehmen. Die Arbeit sei ein wichtiges und sehr nützliches Fundament für die sich entwickelnde Forschung zu wachstumsneutralen Unternehmen, so die Jury in ihrer Begründung.
Der Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie wird im zweijährigen Turnus gemeinsam von der VÖÖ, der Kapp-Stiftung, der Hatzfeldt-Stiftung, der Selbach-Umwelt-Stiftung sowie der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis vergeben. Der Name des Preises erinnert an den bedeutenden Ökonomen Karl William Kapp (1910-1976), der bereits Anfang der 1950er-Jahre als einer der ersten Ökonomen die sozialen und ökologischen externen Kosten der Marktwirtschaft aufgezeigt und analysiert hat. Die Jury des Preises ist interdisziplinär besetzt und besteht aus Wissenschaftler/-innen der Ökonomie, Soziologie, Wissenschaftstheorie sowie der Natur- und Kulturwissenschaften.
Zu den Zusammenfassungen und Volltexten der ausgezeichneten Arbeiten geht es hier. Die Zusammensetzung der Jury findet sich hierThe climate crisis is a consequence of our economic system. Economic solutions, like carbon trading were supposed to be a problem solver. Despite such efforts, CO2 levels kept rising. Should we consider changing our economic system instead? And which role do environmental NGOs play in the battle for climate justice? Joanna Cabello, activist and researcher on environmental justice and part of...
Der Wachstumsdiskurs muss im redlichen Sinne die Gründe erwägen, die für oder gegen Wachstum und bestimmte Wachstumsformen sprechen. Er hat darüber hinaus aber auch unvermeidbares Wachstum zu berücksichtigen und zu klären, wie damit in zumutbarer Weise umzugehen ist. Ich glaube, dass der Begriff der Subsistenz eine Orientierung dazu bietet. Im Beitrag erläutere ich, was ich [...]
Bestehende Ansätze der Postwachstumsökonomik entspringen allesamt der gesamtwirtschaftlichen Perspektive. Die einzelwirtschaftliche Dimension einer Wirtschaft ohne Wachstum blieb bislang weitgehend außer Acht. Diese Forschungslücke ist frappierend, da volkswirtschaftliche Konzepte mit dem Ziel einer Wachstumsrücknahme wie das bedingungslose Grundeinkommen, die Umverteilung von Erwerbsarbeit, zinslose Geldsysteme oder Suffizienz zwar notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für tragfähiges wachstumsneutrales Wirtschaften [...]