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Das Verhältnis von Emanzipation und Wachstum – Interview mit Barbara Muraca und Tanja von Egan-Krieger (Teil I)

20.03.2014

Von Andrea Vetter

Auf der Tagung der Attac Gender AG "Schneewittchen rechnet ab" am 3. November 2012 arbeiteten über 100 Teilnehmer_innen gemeinsam dazu, was (queer-)feministische Ökonomie leisten kann. Wo stößt sie an Grenzen und wie kann eine sinnvolle Weiterentwicklung gedacht werden? Welche Alternativen der Arbeit und der Produktion gibt es? Und nicht zuletzt: Wie wollen wir leben? Im Anschluss an die Tagung ist eine Publikation mit Artikeln und Interviews der Referent_innen und Künstler_innen erschienen. Aus einem der Gespräche werden an dieser Stelle in loser Folge Teile veröffentlich.

Barbara Muraca und Tanja von Egan-Krieger sprechen in diesem Interview über "Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik". Im ersten Teil dieses Interviews steht die Frage im Mittelpunkt, warum aus einer feministischen Sicht Wirtschaftswachstum zu kritisieren ist.

Andrea Vetter: Sie sind beide Feministinnen und Wachstumskritikerinnen. Eigentlich ist es aber doch wunderbar, wenn die Wirtschaft wächst: Frauen müssen nicht mehr von Hand abwaschen, sondern können das an einen Automaten geben, sie können endlich Lohnarbeiten gehen oder andere Interessen außer Haus und Kind verfolgen – im Gegensatz zu vor 150 Jahren, als es keine Waschmaschine gab, keinen Geschirrspüler, keinen Kühlschrank, keine Pille, mit der man verhüten konnte, usw. Ist das nicht alles nur dank Technik und Innovationen durch Wirtschaftswachstum passiert?

Barbara Muraca: Es ist ja nicht so, dass die technologische Entwicklung zusammen mit dem Wirtschaftswachstum per se zu verteufeln wäre – das Problem ist die kontinuierliche Orientierung an weiterem Wirtschaftswachstum heute. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wachstum ein Mittel zum Zweck, das tatsächlich eine gewisse technologische Entwicklung und das Erreichen eines gewissen Wohlstands ermöglicht hat.

Tanja von Egan-Krieger: Ich würde eher sagen, dass unsere wettbewerblich organisierte Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl zu einer enormen technologischen Entwicklung als auch zu Wirtschaftswachstum geführt hat. Von beidem haben wir in vielerlei Hinsicht profitiert, nicht zuletzt in Form eines steigenden Lebensstandards.

BM: Heute sind wir dagegen in einer Situation, in der wir eigentlich dabei bleiben könnten und nicht weiter wachsen müssten – aber die Wirtschaft „muss“ weiter wachsen, weil das ein innerer Zwang für die Stabilisierung unserer gesellschaftlichen Konstellation ist. An diesem Punkt kippt das um, Wirtschaftswachstum wird zum Zweck an sich, und um diesen Zweck zu erreichen, bleiben genau jene Errungenschaften wieder auf der Strecke, die mit dem Wachstumsversprechen einst verknüpft waren.

TEK: Heute ist Wachstum kein beinahe automatisches Ergebnis unserer wettbewerblich organisierten Wirtschaft mehr. Wir stoßen – neben den oft genannten ökologischen Grenzen – auch an weitere: Jetzt müssen immerzu neue Bedürfnisse generiert werden, beispielsweise durch Werbung, damit weiteres Wachstum möglich wird. Zudem wird eine kontinuierliche Schärfung des Wettbewerbs angestrebt, um das Wachstum „anzukurbeln“. Doch damit wird auch der Wettbewerbsdruck immer größer. Es findet eine Ökonomisierung unserer Lebensverhältnisse statt.

BM: Damit geht ein weiteres Problem einher: Bis zu einer gewissen Schwelle ist Wachstum eine wesentliche Bedingung für einen Weg aus der Armut, für die Sicherung von Lebensstandards und sogar auch von Lebensqualität. Ab dieser Schwelle - die wurde auch berechnet[1] - kippt es aber um und zusätzliches Wirtschaftswachstum wird dann hinderlich für Lebensqualität und längerfristig auch für den Lebensstandard.

Ist also ein gewisser materieller Zuwachs und Wohlstand immer eine Bedingung dafür, dass es Menschen generell, und speziell Frauen, gelingt, sich aus Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien?

BM: Nein. Ich sehe an dieser Stelle eine komplexere Wechselwirkung. Ich würde eher zugespitzt sagen, dass gerade die Emanzipationskämpfe von Frauen dazu beigetragen haben, dass bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen überhaupt möglich waren. Die ökonomische Entwicklung im Sinne von Wachstum war nicht allein die Ursache für die Emanzipationserrungenschaften nicht nur von Frauen, sondern auch von anderen diskriminierten Gruppen. Das wäre wirklich zu kurz gegriffen. Im Gegenteil haben die Wohlfahrtsstaaten, die wohlfahrtsstaatlichen Demokratien, in der Nachkriegszeit auf Wirtschaftswachstum zurückgegriffen, um genau jene emanzipatorischen Ziele zu ermöglichen.

TEK: Selbst, wenn wir die Frage nach Ursache und Wirkung mal bei Seite lassen – ich würde eher von einer Wechselwirkung ausgehen – hätte es natürlich auch andere Möglichkeiten geben können, wenn wir zum Beispiel nur an materielle Ressourcen denken, durch Umverteilung. Aber Wirtschaftswachstum hat für eine Weile ermöglicht, dass alle eine Verbesserung ihres Lebensstandards erreichen konnten, ohne dass dramatische Umverteilung nötig war. Und dies hat natürlich auch für „sozialen Frieden“ gesorgt. Emanzipatorische Kämpfe sind sicher nicht allein das Ergebnis von ökonomischen Entwicklungen. Wirtschaftswachstum kann aber als ein einfacher Lösungspfad für emanzipatorische Kämpfe genutzt werden. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst und nicht mehr die Möglichkeit besteht, einfach die Zuwächse zu verteilen; um Ungleichheit zu verringern, muss man anfangen umzuverteilen.

BM: Genauso so sehe ich das auch!

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[1] Vgl: Schwellenhypothese von Max-Neef: Manfred Max-Neef: (1995). "Economic Growth and Quality of Life: A Treshold Hypothesis." Ecologial Economics 15, S. 115-118. Gekürzte Version aus: Christine Rudolf, Doreen Heide, Julia Lemmle, Julia Roßhart, Andrea Vetter (Hg.): "Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren", VSA Verlag, 2013. Mehr dazu: http://feministischeoekonomie.wordpress.com/

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