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Degrowth als Verbündeter für Kämpfe im globalen Süden – Interview mit Barbara Muraca und Tanja von Egan-Krieger (Teil III)

27.03.2014

Von Andrea Vetter

Auf der Tagung der Attac Gender AG "Schneewittchen rechnet ab" am 3. November 2012 arbeiteten über 100 Teilnehmer_innen gemeinsam dazu, was (queer-)feministische Ökonomie leisten kann. Wo stößt sie an Grenzen und wie kann eine sinnvolle Weiterentwicklung gedacht werden? Welche Alternativen der Arbeit und der Produktion gibt es? Und nicht zuletzt: Wie wollen wir leben? Im Anschluss an die Tagung ist eine Publikation mit Artikeln und Interviews der Referent_innen und Künstler_innen erschienen. Aus einem der Gespräche werden an dieser Stelle in loser Folge Teile veröffentlich. Barbara Muraca und Tanja von Egan-Krieger sprechen in diesem Interview über "Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik". Im dritten Teil steht die Frage im Mittelpunkt, inwiefern Degrowth für Länder des globalen Südens eine Perspektive bildet.

Andrea Vetter: Wie sieht das aus in Ländern des globalen Südens, hängt eine Weiterentwicklung der Gleichberechtigung dort an Wirtschaftswachstum oder kann man sich auch andere Formen von Emanzipation vorstellen, die vielleicht überhaupt nicht mit materiellem Zuwachs verbunden sind? Zum Beispiel in Indien, das gerade sehr hohe Wachstumsraten aufweist – trägt das zur Emanzipation von Frauen bei?

Tanja von Egan-Krieger: Der Wachstumspfad, den wir als Industrieländer, als Länder des globalen Nordens, gegangen sind, ist ein Pfad, der nicht generalisierbar ist. Dieses Wirtschaftswachstum ist auf Kosten der Länder des globalen Südens geschehen und kann aufgrund ökologischer Grenzen auch nur auf Kosten anderer stattfinden. Deswegen haben wir auch eine Verpflichtung, uns von diesem Pfad zu entfernen. Wozu, darüber streiten sich die Geister: Einige[1] sagen, die Industrieländer müssen schrumpfen, damit andere Länder die Möglichkeit haben, bis zu jener Schwelle zu wachsen, an der Wachstum noch eine Bedingung für Lebensqualität ist.

Barbara Muraca: Andere wiederum vor allem aus der Post-Developement-Tradition[2] sagen dagegen, dieser wachstumsorientierte Entwicklungspfad, der von den Industrieländern vorgegeben wird, sei genau der Grund, weswegen die Schwellenländer und die Länder des globalen Südens in einer einseitigen Abhängigkeit vom globalen Norden gehalten und zu rein extraktivistischen Ländern reduziert wurden. Die Kritiker_innen aus dem globalen Süden fordern keinen alternativen Entwicklungspfad (sofern Entwicklung anhand des Modells der Industrieländer funktioniert), sondern vielmehr eine Alternative zu „Entwicklung“.

TEK: Ich denke, ich spreche auch für Barbara, wenn ich sage, dass ich mich mit einem Urteil an dieser Stelle zurückhalte, weil ich bequem aus dem globalen Norden spreche – deshalb finde ich es schwierig, anderen zu sagen: Das, was wir gemacht haben, dürft ihr nicht machen. Ich finde aber interessant und wichtig, auch diesen entwicklungskritischen Stimmen Beachtung und Aufmerksamkeit zu schenken.

BM: Das sehe ich genauso. Und zu guter Letzt würde ich sagen: Wirtschaftswachstum per se führt auch nicht unbedingt zu einer Unterstützung der Emanzipationskämpfe. Das funktioniert nur unter bestimmten politischen Bedingungen. Die Frage ist: Wie wird der Überschuss verteilt, was wird mit diesem Wachstum gemacht oder nicht? Ich sehe das in Indien nicht wirklich passieren, außer, dass eine kleine Mittelschicht immer stärker und immer reicher wird, aber für die große Masse der Bevölkerung ist noch kein sichtbares Ergebnis dieses Wirtschaftswachstums zu sehen. Im Gegenteil, um Wirtschaftswachstum anzukurbeln, werden Kleinbauern und -bäuerinnen und indigene Gruppen von ihrem Land vertrieben, werden in die Stadt getrieben. Das führt zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer Lebenslage, vor allem eben der Lage der Frauen, die immerhin auf dem Land noch eine relativ autonome Grundlage für die bloße Selbsterhaltung ihrer Existenz hatten und jetzt durch die Vertreibung diese, wenn auch minimale, Autonomie verloren haben.

Das bedeutet also, wenn wir in Europa von Degrowth sprechen oder wie Sie auch in solchen politischen Zusammenhängen aktiv sind, dann ist das erst mal eine Bewegung für den globalen Norden, aber vielleicht verbunden mit dem Angebot, auf Augenhöhe mit Menschen aus anderen Ländern in Dialog zu treten, aber nicht den Ländern des Südens Degrowth als neues Entwicklungsparadigma aufzudrücken?

BM: Genau. Ich würde vielleicht sagen, wie zum Beispiel Joan Martinez-Alier[3]: Degrowth im globalen Norden kann zu einem guten Verbündeten werden für Kämpfe um Umweltgerechtigkeit im globalen Süden und für den Post-Extraktivismus[4] in Lateinamerika. Verbündet heißt nicht einfach, dass Degrowth exportiert und als solches übernommen wird; sondern dass es so weiterentwickelt und gedacht werden soll, dass es zu einem Verbündeten für die emanzipatorischen Kämpfe im globalen Süden wird. Das bedeutet aber auch, dass nicht jede Degrowth-Idee oder jede Vorstellung einer Postwachstumsgesellschaft diese Rolle als Verbündete(r) einnehmen kann. Radikale bioregionalistische Abschottungen sind nicht wirklich geeignet für diese Verbündetenrolle, weil sie sagen würden: Wir retten uns auf einen Postwachstumspfad und was im Rest der Welt passiert, interessiert uns dann nicht mehr. Sie würden höchstens den Druck auf die Länder des Südens vermindern, aber das wäre noch nicht gedacht im Sinne einer solidarischen Postwachstumsgesellschaft.

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[1] Vgl: Nicolas Georgescu-Roegen: (1975) Energy and economic myths. The Southern Economic Journal 41 (3), S. 347–381.
[2] Molouk Rahnema: The Riches of the Poor. The Oakland-Table. 200 Harrison St., Oakland, USA 2001; Alberto Acosta: Buen Vivir. Auf Dem Weg in Die Post-Entwicklung: Ein Globales Konzept. In: Werner Rätz u.a.:Ausgewachsen! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben. Hamburg 2011, S. 170-180.
[3] Joan Martínez-Alier:(2012). Environmental Justice and Economic Degrowth: An Alliance between Two Movements. Capitalism Nature Socialism 23(1), S. 51-73.
[4] Bewegung, die gegen die einseitige Reduzierung der Wirtschaften der meisten lateinamerikanischen Ländern auf die bloße Extraktion von Rohstoffen für die reichere Ländern protestiert. Der Extraktivismus führt zu unmenschlichen Arbeitsbedingungn und dramatischen Umweltschäden vor allem in den Gebieten, die noch von der indigenen Bevölkerung bewohnt werden. Gekürzte Version aus: Christine Rudolf, Doreen Heide, Julia Lemmle, Julia Roßhart, Andrea Vetter (Hg.): "Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren", VSA Verlag, 2013. Mehr dazu: http://feministischeoekonomie.wordpress.com/

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