Das Degrowth-Magazin der französisch-sprachigen Schweiz heißt Moins! und es erscheint sechsmal im Jahr. Die August-Ausgabe haben sie extra für die Degrowth-Konferenz auf Deutsch übersetzen lassen. Zur Einstimmung auf die Konferenz werden die Degrowth-Aktivisten aus der Schweiz mit einer Velocarawane anreisen. Wahrscheinlich kommen die Exemplare der Moins! aber mit Post in Leipzig an. Für den Stream towards Degrowth haben sie uns bereits einen Artikel vorgeschickt.
Internationale Konferenzen sind oft eine etwas zweischneidige Sache. Einerseits ermöglichen sie Begegnungen, Austausch und neue Erkenntnisse, andererseits werden dafür oft viele Flugmeilen und Zugkilometer innerhalb weniger Tage zurückgelegt. Dazu kommt, dass während Konferenzen vor allem viel diskutiert, jedoch oft nur wenig konkret praktiziert wird. Aus diesem Umstand ist die Idee der Fahrradkarawane entstanden: Mit dem Fahrrad von der Schweiz nach Leipzig auf die Konferenz zu fahren, ist die bewusste Entscheidung für ein konviviales Transportmittel und gegen das allgegenwärtige hochtechnologisierte Beschleunigungskarussell. Ganz im Sinne der geflügelten Worte „Der Weg ist das Ziel“, soll die Erfahrung des Unterwegsseins aus eigener Antriebskraft in den Mittelpunkt gerückt und nicht bloß auf ein nebensächliches Dazwischen von A nach B reduziert werden. Die raum-zeitliche Er-Fahrung des Weges betont das befreiende Entschleunigungsgefühl gegenüber der transport-ökonomischen Mittel-Zweck-Orientierung. Dank des bewussten Verzichts auf jegliche motorisierte Fahrzeuge soll unserer Karawane an Autonomie gewinnen und fördert die umweltfreundlichen Transportmittel.
Darüber hinaus ist die Fahrradkarawane ein bewusster Versuch, die Theorie der Décroissance-Bewegung in einem konkreten und partizipatorischen Rahmen zu verwirklichen. Wir stützen uns dabei auf gegenwärtige und historische Vorbilder des friedlichen Widerstandes, die sich in einer ihrer ausgeprägtesten Formen immer wieder als grosse Protestmärsche in Indien manifestieren. Diese Märsche sind Laboratorien des gelebten Widerstandes und enthalten zugleich den Keim einer solidarischen Alternative. Das hat uns inspiriert und ermutigt, uns gegen den alles dominierenden Wirtschaftswachstumszwang auf den Weg Richtung Transformation zu einer gerechten, solidarischen und ökologisch verträglichen Gesellschaft zu machen.
Die Utopie ausprobieren? Genauso wie die Décroissance-Theorie keinen dogmatischen politischen Masterplan vorschlägt, so versteht sich auch die Karawane als ergebnisoffenes, selbstorganisierendes Projekt, das durch alle Mit-Fahrenden gestaltet wird. Die Karawane als konkretes Projekt der Décroissance-Bewegung möchte für Personen mit verschiedenen Hintergründen und aus unterschiedlichen sozialen Milieus zugänglich sein und diesen einen Entfaltungsrahmen bieten. Die Beteiligten geben mit ihren eigenen Ansätzen und Umsetzungsformen der Karawane ein Gesicht. Diese Vielfalt soll durch Kooperation, Solidarität und gegenseitige Anerkennung unter den Mit-Fahrenden ein Mosaik der Veränderung gestalten.
Die Karawane will auch eine Gelegenheit sein, die Décroissance-Bewegung einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen und die bisher relativ unkoordinierten Initiativen und Aktivitäten zu verknüpfen, auch und gerade über die Sprachgrenzen hinweg. Durch den Besuch von Décroissance verwandten Projekten unterwegs sollen der Austausch gefördert werden und lokale Initiativen als Anregung für eigene Projektideen dienen. Dafür nehmen wir uns bewusst genügend Zeit, um in eine Vielfalt an Alternativen eintauchen zu können: Vom Wagenplatz in Basel zu der Garten-Cooperative in Freiburg über die Anti-AKW-Gruppe in Weisweil hin zum Hausprojekt Wohnopolis in Erfurt.
Diese Art des Unterwegsseins scheint uns ausgesprochen geeignet, um mit freiwilliger Einfachheit zu experimentieren, fernab der alltäglichen Verpflichtungen und Gewohnheiten. Dank dem bewussten Verzicht auf Wohlstandskomfort wird eine Auseinandersetzung mit den eigenen Grundbedürfnissen möglich gemacht. Die selbstbestimmte Durchfahrung von Raum und Zeit soll das Lebensgefühl, die Beziehungen zu den Mitmenschen und die bewusste Wahrnehmung der Umwelt intensivieren. Ganz im Sinne von: moins de biens, plus de liens!
Lasst uns ein bisschen Utopie verwirklichen und leben, Mut zur Veränderung säen und voller Lust die Grenzen des Erfahrungsraums ausloten und überschreiten!
von Mirjam Bühler und Markus Flück
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