Von Andrea Vetter
Barbara Muraca und Tanja von Egan-Krieger sprechen in diesem Interview über "Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik". Im vierten Teil dieses Interviews geht es um reale Alltagserfahrungen in Griechenland und Deutschland. Es steht die Frage im Mittelpunkt, was unter Arbeit verstanden wird und wie diese verteilt werden sollte.
Auf der Tagung der Attac Gender AG "Schneewittchen rechnet ab" am 3. November 2012 arbeiteten über 100 Teilnehmer_innen gemeinsam dazu, was (queer-)feministische Ökonomie leisten kann. Wo stößt sie an Grenzen und wie kann eine sinnvolle Weiterentwicklung gedacht werden? Welche Alternativen der Arbeit und der Produktion gibt es? Und nicht zuletzt: Wie wollen wir leben? Im Anschluss an die Tagung ist eine Publikation mit Artikeln und Interviews der Referent_innen und Künstler_innen erschienen. Aus einem der Gespräche werden an dieser Stelle in loser Folge Teile veröffentlich.
Andrea Vetter: Aber zurück von den philosophischen Konzepten zum realen Alltag: Aktuell sieht man ja im Rahmen der Eurokrise, wenn wie in Griechenland oder Italien das Bruttoinlandsprodukt real schrumpft und durch die Sparpolitik soziale Sicherungssysteme zurückgefahren werden, dass dann große Teil der Sorgearbeit wieder verstärkt in die Hände von Frauen zurückfallen. Und das ist auch eine Argumentationslinie, die zum Teil Décroissance- oder Postwachstumstheoretiker fahren, dass sie sagen, das ist total gut, dass Reproduktionstätigkeiten stärker in der Familie passieren – damit meinen sie merkwürdigerweise immer die Frauen – , dass die Frauen sich wieder um die Kinder kümmern und nicht alle ständig Lohnarbeiten gehen. Was kann man dem aus einer emanzipatorischen Postwachstumsperspektive dagegen setzen?
Tanja von Egan-Krieger: Zum einen würde ich sagen, was jetzt in Griechenland passiert, ist nur in dem Sinne eine Postwachstumsgesellschaft, als dass es eine auf Wachstum ausgerichtete Gesellschaft ist, die nicht mehr wächst. Und das bedeutet Krise, Rezession, Stagnation und Zerfall der Demokratie. Das ist das, was uns in den Industrieländern als Schicksal wahrscheinlich nicht erspart bleibt, weil wir nicht mehr die hohen Wachstumsraten produzieren können, die jahrzehntelang eine stabilisierende Funktion für den Wohlfahrtsstaat, für unsere Gesellschaft, hatten. Und hier setzt genau der Hebel an: Entweder weiter so – und das führt uns in eine Krise, in eine Rezession, in eine Postwachstumsgesellschaft als katastrophales Schicksal – oder aber wir fangen an, uns aktiv und kreativ zu beteiligen an der Gestaltung einer gerechten und partizipatorischen Postwachstumsgesellschaft; einer Gesellschaft die nicht mehr an Wachstum gekoppelt ist und nicht mehr von Wachstum abhängig ist, die aber emanzipatorisch und solidarisch ist. Konkret bedeutet dies u. A. eine radikale Reduzierung der so genannten Erwerbsarbeit; das würde aber auch eine Umverteilung aller möglichen Arbeiten bedeuten. Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass wieder Frauen bestimmte Tätigkeiten übernehmen – das wird einfach stillschweigend vorausgesetzt von nicht-emanzipatorischen Vorstellungen einer Postwachstumsgesellschaft.
Barbara Muraca: Die Herausforderung an dieser Stelle ist es, an einer Postwachstumsgesellschaft zu arbeiten, die eben nicht einfach nur in dieselbe Richtung der jetzigen Gesellschaft weiter läuft oder sogar auf dem Rücken von Frauen oder einer neuen Form von Sklaven ausgetragen wird. Diese negative Vorstellung ist nicht so weit hergeholt, es wird auch ganz ernst von einer Re- oder Neofeudalisierung des Kapitalismus gesprochen. Das bedeutet, dass es eine Gesellschaft geben könnte, die nicht mehr an BIP-Wachstum gekoppelt wird, die nicht mehr wohlfahrtsstaatlich ist, in der nur die Vermögen einiger weniger wachsen, eine ganz dramatische Ungleichheit besteht und alle Formen von Solidarität und wohlfahrtsstaatliche Dienstleistungen wieder privatisiert oder de facto an die Familien ausgelagert werden. Das ist ein relativ realistisches Szenario. Umso wichtiger ist es, an einem alternativen Szenario von einer emanzipatorischen und solidarischen Postwachstumsgesellschaft zu basteln. Und da stellen sich die Fragen: Welche Arbeit soll verrichtet werden, was ist Arbeit, wer soll die verrichten, wie wird Arbeit verteilt oder umverteilt in dieser Gesellschaft? Denn es gibt Tätigkeiten wie zum Beispiel Kindererziehung, die anders als die Erwerbsarbeit sich nicht von der Anzahl der Stunden her reduzieren lassen.
Gerade zu Kindererziehung gibt es ja aktuell in Deutschland große Diskussionen. Ab August 2013 gibt es einen Anspruch für Kinder ab einem Jahr auf einen Krippenplatz, damit – so die Argumentation – auch die Frauen Vollzeit erwerbsarbeiten gehen können. In einer Postwachstumsgesellschaft würde sich aber vielleicht auch die Frage stellen, ob wir Familienarbeit und Erwerbsarbeit nicht auch anders verteilen könnten. Eine Möglichkeit wäre ja auch, dass jedes Elternteil vielleicht zwanzig Stunden die Woche arbeitet und in der restlichen Zeit eine gute Zeit mit den Kindern hat.
BM: Ja klar, aber das ist genau der Punkt – wir müssten einfach von Arbeit ganz anders reden und endlich die so genannten reproduktiven Tätigkeiten als gleichwertig sehen zu anderen Formen von Tätigkeiten. Damit würde sich auch die Art der Produktion ändern. Als Vision für eine Postwachstumsgesellschaft würde idealerweise die Aufteilung zwischen Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit wirklich wegfallen. Dazu gehört auch, dass tatsächlich Erwerbsarbeit und Einkommen voneinander abgekoppelt werden müssten, dass Erwerbsarbeit nicht mehr die fundamentale Quelle von Einkommen ist.
TEK: Es ist aber noch ein weiterer Punkt angesprochen: die von mir bereits erwähnte Ökonomisierung unserer Lebensverhältnisse. Der zunehmende Wettbewerbsdruck sorgt dann dafür, dass wir entweder doppelt unter Druck stehen, oder die Betreuung unserer Kinder auslagern. Damit werden Fürsorgetätigkeiten zwar in-Wert-gesetzt, wie Feministische Ökonominnen wie Adelheid Biesecker sagen würden, aber das geschieht durch die Organisation über den Markt. Dahinter liegen die gleichen Denkmuster, die uns auch zum Festhalten an Wirtschaftswachstum bringen. Wenn es uns aber gelingt, diese Denkmuster zu überwinden, ohne dass wir in althergebrachte Rollenvorstellungen zurückfallen, dann können wir auch daran gehen, unser Wirtschaftssystem entsprechend zu organisieren, dann können wir auch die von Ihnen angesprochenen Wege gehen.
BM: Es gibt verschiedene Modelle, zwischen welchen Typen von Arbeit unterschieden werden könnte: Arbeit, die für Dritte verrichtet wird - das ist das, was wir bis jetzt Erwerbsarbeit nennen, wobei daraus die ganzen reproduktiven Tätigkeiten ausgeschlossen sind. Oder freiwillige und unfreiwillige Arbeit, denn auch das, was man ungern macht, muss irgendwie verrichtet werden. Die Frage ist immer: Wie wird welche Arbeit neu verteilt in der Gesellschaft? Man kann sich auch gemeinschaftliche Formen von Kindererziehung vorstellen. Die Kinder müssen nicht unbedingt von den jeweiligen Eltern betreut werden - das ist auch eine Form von Care-Arbeit, die dann aber ganz anders verteilt werden kann. Wir sprechen hier von Visionen, die entwickelt werden müssen und dabei geht es auch um Kämpfe, damit bestimmte emanzipatorische Forderungen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Und da muss ich tatsächlich sagen: auch in den eher linken Traditionen der Postwachstumsdiskussion tun sich die Leute immer noch ziemlich schwer mit der Frage der reproduktiven Tätigkeit und der Geschlechtergerechtigkeit. Das ist noch ein ziemlicher Kampf, der vor uns steht. Ich hoffe, dass bei der International Degrowth Conference 2014 in Leipzig dieses Thema eines der Hauptthemen wird.
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Gekürzte Version aus: Christine Rudolf, Doreen Heide, Julia Lemmle, Julia Roßhart, Andrea Vetter (Hg.): "Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren", VSA Verlag, 2013.Mehr dazu: http://feministischeoekonomie.wordpress.com/
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