Von Ronald Blaschke
Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt nicht „die“ Grundeinkommensbewegung, wie es auch nicht „das“ Grundeinkommenskonzept gibt.[1] Es gibt auch nicht „die“ Degrowth-Bewegung wie es auch nicht „das“ Degrowth-Konzept gibt. Aber es gibt in beiden Bewegungen übereinstimmende bzw. ähnliche Ansätze, die fruchtbar für ein gemeinsames politisches Engagement gemacht werden können.[2] Dies vor allem in den folgenden vier Bereichen.
„Wer fordert, dass die Menschen ihren ökologischen Gürtel enger schnallen, der muss auch für einen gleichen Leibesumfang sorgen.“ (Chris Methmann in Exner/Rätz/Zenker 2007)
„Wachstum ist eine Ersatzdroge für Einkommensungleichheit. […] Je mehr Einkommensgleichheit, umso weniger brauchen wir die Ersatzdroge. Mehr Gleichheit ist Voraussetzung für eine Wirtschaft ohne Wachstum.“ (Richard Wilkinson/Kate Pickett 2009)
„Konnte sich der relative materielle Wohlstand in den industrialistischen Konsumländern denn nicht nur auf den Schultern der Dritten Welt entwickeln, mit Hilfe einer durch militärische und wirtschaftliche Gewalt aufrechterhaltenen internationalen Arbeitsteilung, dem sogenannten ‚Weltmarkt‘?“ (Michael Opielka 1985)
„Die politischen Auseinandersetzungen um eine gerechte Sozialpolitik unter dem Vorzeichen knapper werdender Ressourcen können nur im Blick auf die globale Situation geführt werden. Soziale Gerechtigkeit kann nur im Weltmaßstab gedacht und verwirklicht werden. Sie muss die berechtigten Lebensinteressen der Menschen in den arm gemachten Ländern des Südens anerkennen.“ (Attac-Vorbereitungsgruppe zum wachstumskritischen Kongress 2011 in Berlin)
Die Grundeinkommensbewegung vertritt die Auffassung, dass das Grundeinkommen Teil einer verlässlichen, präventiven und vor allem menschenrechtskonformen sozialen Absicherung für alle Menschen sein sollte. Das setzt eine umfassende, universelle Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums voraus. Dazu wird unter anderem auch ein ökologisches Grundeinkommen bzw. ein Ökobonus diskutiert, also eine ausgleichende, soziale Komponente bzw. Rückverteilung, die durch ökologisch orientierte Steuern finanziert wird.
Die Degrowth-Bewegung geht davon aus, dass ohne eine ausreichende und bedingungslose soziale Sicherheit für alle Mitglieder der Gesellschaft kein gutes Leben für alle möglich ist. Existenzängste, Prekarisierung und soziale Spaltungen blockieren nötige Transformationsprozesse, so das Argument. Auch der Zusammenhang zwischen Folgen des Klimawandels und Armut im globalen Süden wird diskutiert. Teile der Grundeinkommensbewegung wie auch Teile der Degrowth-Bewegung sehen den Zusammenhang zwischen Wohlstand des globalen Nordens und Armut des globalen Südens als Folge des ökonomischen Imperialismus und plädieren für eine alternative internationale Ökonomie und Arbeitsteilung, sowie für die Rückverteilung an die armen Länder.
„Die ökologische Kritik am Industrialismus, an […] der schrankenlosen Ausbeutung der äußeren Natur – der Umwelt – und der inneren Natur – des Körpers und der Seele der Menschen –, stellt die Organisation der gesamten gesellschaftlichen Arbeit wie des Soziallebens qualitativ in Frage […]. Hat die Industrialisierung unserer gesamten Lebenswelt nicht zu einer unter sozialen und gesundheitlichen wie unter demokratischen Gesichtspunkten höchst problematischen Vereinnahmung und Kontrolle unserer Lebensäußerungen geführt?“ (Michael Opielka 1985)
„Soll die gesellschaftlich notwendige Gesamtarbeit so organisiert werden, daß sie keine überflüssige Energie verbraucht und keine überflüssigen Schadstoffe freisetzt; soll sie, mit anderen Worten, das sogenannte Bruttosozialprodukt drastisch vermindern, dann ist Zustimmung zu solcher Politik nur vorstellbar, wenn sie gleichzeitig soziale Gerechtigkeit in bisher unbekannten Dimensionen verwirklicht.“ (Carl Amery in Opielka 1985)
„Der notwendige Abschied von bisherigen Lebensgewohnheiten (jährliche Urlaubsflüge etc.) wird nur dann auf die nötige Akzeptanz stoßen, wenn in einem demokratischen Prozess darum gerungen wird, wenn es dabei gerecht zugeht und die sozialen Grund- und Freiheitsrechte aller Menschen geachtet werden.“ (Attac-Vorbereitungsgruppe des wachstumskritischen Kongresses 2011 in Berlin)
Die Grundeinkommensbewegung geht aus den folgenden Gründen davon aus, dass das Grundeinkommen eine politische und demokratische Teilhabe der Menschen an allen öffentlich-politischen Angelegenheiten – inklusive der Wirtschaft – befördert: a) Weil es diese Teilhabe grundsätzlich allen materiell ermöglicht. b) Weil mit der Anerkennung des Grundeinkommens für alle Menschen eines Gemeinwesens zugleich eine grundsätzliche gleiche Anerkennung aller Menschen als Mitglied dieses Gemeinwesens gegeben ist. c) Weil mit dem Grundeinkommen die politische und demokratische Teilhabe ohne materielle Erpressbarkeit ermöglicht wird. Umgekehrt wird argumentiert, dass ein Grundeinkommen auf demokratischem Weg eingeführt werden muss und diese Einführung einer hohen gesellschaftlichen Zustimmung bedarf.
Die Degrowth-Bewegung argumentiert, dass eine nachhaltige Transformation zu einer Gesellschaft, die mit bedeutend weniger Verbrauch natürlicher Ressourcen und Umweltzerstörung produziert und konsumiert, nur auf demokratischem Weg möglich ist, und dass nachhaltige Produktion und Konsumtion eine demokratische Organisation erfordern.
„Das Konzept der freien Kooperation beharrt jedoch darauf, dass die Individuen real gleich sein sollen in ihrer Macht, Einfluss auf die Regeln zu nehmen und ihre Kooperation aufzukündigen oder unter Bedingungen zu stellen, und zwar jederzeit. Freie Kooperation beinhaltet […], dass die Beteiligten einander in einer sozialen Position der Gleichheit gegenübertreten. Die Kooperation ist nur frei, wenn sie gleich ist; und die Individuen können nur frei sein in einer Kooperation, wo sie gleich sind.“ (Christoph Spehr 2003)
„Nur die Garantie eines unabhängigen, qualitativ ausreichenden Existenzgeldes schafft für die Individuen die Voraussetzung, sich nicht um jeden Preis verkaufen zu müssen. Es gewährleistet ihre politische Freiheit; denn politische Freiheit heißt vor allem, sich nicht in erzwungene Kooperationen irgendwelcher Art hineinbegeben zu müssen.“ (Christoph Spehr 2003)
„In Gesellschaften mit mehr materieller Gleichheit sind der soziale Zusammenhalt und auch das gegenseitige Vertrauen der Menschen stärker; beides fördert das Gemeinschaftsgefühl. […] Ein Mehr an Gleichheit kann uns helfen, eine öffentliche Moral zu entwickeln, die auf wechselseitige Verpflichtung und Zusammenarbeit gerichtet ist.“ (Richard Wilkinson/Kate Pickett 2009)
Teile der Grundeinkommensbewegung diskutieren im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen eine demokratische und solidarische Gestaltung von Produktion und Distribution, die primär auf dem Gemeinwohl-, Bedürfnis- und Kooperationsprinzip und nicht auf dem Profit- oder Konkurrenzprinzip basiert. Soziale Sicherheit und individuelle Freiheit durch ein Grundeinkommen befördern partizipative und demokratische Teilhabe und solidarische Grundeinstellungen – auch in der Ökonomie. Außerdem ermöglicht es die materielle Sicherung und freie Zeit für den Aufbau und Aktivitäten im Bereich der alternativen und solidarischen Ökonomie.
Teile der Degrowth-Bewegung argumentieren, dass es – im Gegensatz zur profit- und konkurrenzgetriebenen Ökonomie – nur mit einer demokratischen und solidarischen Gestaltung von Produktion und Konsum, also im Rahmen solidarischer Ökonomie, möglich ist, den Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung zu stoppen. Darüber hinaus werden konkrete Möglichkeiten und die Notwendigkeit freier Zeit für verschiedene Formen der kooperativen Eigenarbeit im informellen, unbezahlten Sektor diskutiert und praktische Ansätze ausprobiert.„Ist die (Erwerbs-) Arbeit, von deren Verteilung angesichts der Massenerwerbslosigkeit allein die Rede ist, nicht zu großen Teilen Arbeit, die unter ökologischen Gesichtspunkten abgeschafft gehörte? Geht es also neben der Umverteilung der Arbeit auf die sich anbietenden Arbeitskräfte nicht vor allem auch um eine Umverteilung der volkswirtschaftlich zur Verfügung stehenden Arbeitskraft auf ganz andere Arbeitsbereiche (von der Beteiligung der Männer an Haus- und Erziehungsarbeit über eine ökologische Landwirtschaft bis hin zur Entwicklung von umweltverträglichen Formen der Energieversorgung)?“ (Michael Opielka 1985)
„Ein Maß für alle Arbeitsprozesse jenseits von Geld ist zudem die Rücksichtnahme auf die Regeneration der Natur und ein ressourcenschonender und emissionsarmer Umweltbezug. Dieses neue Arbeitsverständnis ist Grundlage für eine gesellschaftliche Umverteilung und Umbewertung von Arbeit. Dabei werden sowohl geschlechtsspezifische Zuweisungen als auch geschlechtsgebundene Bewertungen von Arbeit überwunden. Wöchentliche Erwerbsarbeitszeiten werden radikal verkürzt, damit sowohl Erwerbsarbeit als auch Sorgearbeiten zwischen Männern und Frauen geteilt werden können.“ (Biesecker/Wichterich/von Winterfeld 2012)
„Eine integrative und geschlechtergerechte Gleichstellung in der Verteilung und Bewertung von Arbeit muss in demokratischen Diskursen exploriert und in neuen Gesellschaftsverträgen ausgehandelt werden. Eine ermöglichende Vorbedingung ist ein Grundeinkommen, das weder die alten Geschlechtsstereotypen in der Arbeit reproduziert noch als eine neoliberale Absicherungsform der Prekarisierung von Erwerbsarbeit missbraucht wird.Dieses Grundeinkommen wäre bedingungslos in dem Sinne, dass es an keinerlei Zugangseinschränkungen oder Sanktionsdrohungen geknüpft wäre und somit ermöglichte, Lohneinkommen und soziale Sicherung wirklich zu entkoppeln.“ (Biesecker/Wichterich/von Winterfeld 2012)
Die Grundeinkommensbewegung geht davon aus, dass das Grundeinkommen einen souveränen Umgang mit der eigenen und kollektiven Arbeits- und Lebenszeit ermöglicht, weil die grundlegende Absicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe gegeben ist. Dabei ist Zeitsouveränität sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu betrachten. Quantitativ meint den Zeitumfang, zum Beispiel den Umfang der Erwerbsarbeit. Qualitativ meint die Zeitverwendung, zum Beispiel im Hinblick auf die Ziele der Tätigkeit in der jeweiligen Zeit. Zeitsouveränität ist eng verbunden mit den obengenannten Themen soziale Sicherheit, Demokratie und solidarische Ökonomie – auch in ihren geschlechterspezifischen Dimensionen.
Die Degrowth-Bewegung sieht eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und damit einhergehend mehr verfügbare Zeit für andere Tätigkeiten als ein wichtiges Element im Transformationsprozess hin zu einer Postwachstumsgesellschaft. Viele feministische Ansätze verbinden die Zeitfrage mit der ökologischen Frage und der Frage der Umbewertung und -verteilung der Arbeit. Darin eingebettet ist das Grundeinkommen. Ziele sind der sorgsame Umgang mit den natürlichen Grundlagen menschlichen Lebens und die Überwindung der derzeitigen Trennungsstruktur von bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie die geschlechtergerechte Verteilung von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit für Menschen.
Um beide Bewegungen besser zu verknüpfen, findet am 19./20. Mai 2016 in Hamburg die internationale Konferenz „Bedingungsloses Grundeinkommen und Degrowth“ statt. Ziel der Konferenz ist es, voneinander zu lernen ,übereinstimmende politische Ansätze zu erörtern und gemeinsame Herausforderungen und Kooperationsmöglichkeiten zu diskutieren. Auch soll die Konferenz auf die 5. Degrowth-Konferenz Ende August/Anfang September in Budapest vorbereiten. Zudem sollen Ergebnisse der Hamburger Konferenz auch beim 16. Kongress des Basic Income Earth Network in Seoul Anfang Juli eine Rolle spielen. Dieser steht unter dem Titel “Social and Ecological Transformation and Basic Income”. ---------------------
Anmerkungen:
[1] Das Grundeinkommen ist eine monetäre Leistung eines Gemeinwesens in einer die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichernden Höhe an alle Menschen. Sie ist individuell garantiert und wird ohne eine sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung und ohne einen Zwang zur Arbeit oder zu einer Gegenleistung gewährt. Das Prinzip des Grundeinkommens ist aber kein Geldprinzip: Es geht um die bedingungslose materielle Absicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe eines jeden Menschen.
[2]Es gibt auch neoliberale und konservative Ziele, die mit einem Grundeinkommen oder mit der Wachstumskritik verbunden werden können, die aber in den sozialen Bewegungen keine Basis haben. Für das Grundeinkommen in neoliberaler Absicht steht z.B. das Konzept von Thomas Straubhaar, für einen konservativ bis neoliberalen wachstumskritischen Ansatz steht Meinhard Miegel. Die konkrete Ausgestaltung des Ansatzes als auch seine Verbindung mit weiteren angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen geben Auskunft darüber, ob eine emanzipatorische oder eine neoliberale/konservative Absicht verfolgt wird.
[3]Rückverteilung bedeutet eine Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, der sich privat bzw. kollektiv in ausbeuterischer Praxis angeeignet wurde.
Weiterführende Literatur: Ronald Blaschke, Postwachstumsgesellschaft und Grundeinkommen, in: Boris Woynowski et al., Wirtschaft ohne Wachstum?! Notwendigkeit und Ansätze einer Wachstumswende, Universität Freiburg, 2012, S. 137-151 Ulrich Schachtschneider: Freiheit – Gleichheit – Gelassenheit. Mit dem ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle, München 2014Vor gut einem Jahr fand die Vierte Internationale Degrowth Konferenz für Ökologische Nachhaltigkeit und Soziale Gerechtigkeit in Leipzig statt. Dazu gibt es ein Jubiläumsvideo des Stückes "Metamorphosen": Metamorphosen from Marc Menningmann on Vimeo. Zur Eröffnung der Degrowth Konferenz 2014 trat der Klangkünstler Pablo Paolo Kilian mit seinem Stück "Metamorphosen" auf. Visuell begleitet...
Von Lasse Thiele Im ersten Teil dieses Beitrags wurde in entwicklungskritische Diskurse eingeführt, in denen seit Jahrzehnten das westliche Wohlstands- und Wachstumsmodell dekonstruiert wird. Die Anknüpfungspunkte zwischen Entwicklungs- und aktueller europäischer Wachstumskritik – und den im nächsten Schritt formulierten Alternativvorschlägen – sind zahlreich. Im Folgenden sollen nur einige be...
Während der internationalen Degrowth-Sommerschule an der »Universitat Autònoma de Barcelona« unterhielt sich Felicitas Sommer mit dem Commons-Forscher Aggelos Varvarousis, der Soziologin Lúcia de Oliveira Fernandes und dem Aktivisten und Wissenschaftler der ökologischen Ökonomien Claudio Cattaneo. Felicitas Sommer: In vielen südeuropäischen Ländern brechen die öffentlichen Versorgungssysteme zusammen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und öffentlichen Bildungseinrichtungen, der [...]