Von Jürgen Freimann
Viele Publikationen, die für Suffizienz und eine Abkehr vom Wachstums-Paradigma plädieren, adressieren allein die Politik. Sie müsse für veränderte Rahmenbedingungen sorgen, „damit gutes Leben einfacher wird“ (Schneidewind/Zahrnt). Sie müsse das Geldsystem in ein Vollgeld-System umwandeln (Huber) und/oder endlich eine ökologische Steuerreform durchführen (Binswanger/Nutzinger), um den Naturverbrauch mit monetären Anreizen zu reduzieren.
So richtig diese Argumentationen sind, so weit entfernt von politischen Realisierungschancen sind sie leider auch. Denn politische Mehrheiten für derartige Reformen in Deutschland, Europa und den anderen großen Wirtschaftsräumen sind mittelfristig nicht erkennbar. Auch die deutsche sog. Öko-Steuer ist ja keine.
Wer also wirklich vorankommen will in Richtung nachhaltig wirtschaften, der muss auch und gerade die einzelwirtschaftlichen Akteure in den Blick nehmen. Es gilt, ihnen Möglichkeiten aufzuweisen, wie sie durch ihr eigenes tägliches Handeln zu einem Zugewinn an Lebensqualität kommen und dabei zugleich ein Mehr an Nachhaltigkeit auf den Weg bringen können. Denn damit wird die Wirtschaftskultur insgesamt verändert und der Boden bereitet, auch systemische Reformen politisch möglich zu machen.
Die Mainstream-Ökonomik zeichnet ein dichotomisches Bild von den Rollen und Funktionen der relevanten Akteure in einer Marktwirtschaft: Die Politik setze die Rahmenbedingungen, die von den einzelwirtschaftlichen Akteuren durch ihr wirtschaftliches Handeln ausgefüllt werden.
Tatsächlich verhält sich die Sache komplizierter: Zum einen werden auch die Rahmenbedingungen unter maßgeblicher, aber ungleich verteilter Mitwirkung der Einzelakteure und ihrer Verbände festgelegt. Zum anderen stehen Rahmenbedingungen und einzelwirtschaftliches Handeln in einem wechselseitigen Einflusszusammenhang. Das individuelle Handeln wird zwar von den gesamtwirtschaftlichen Strukturen beeinflusst, ist aber prinzipiell kontingent, d.h. es hat Spielräume und ist nicht durch die Rahmenbedingungen determiniert. Indem Individuen handeln, festigen sie die Handlungsbedingungen oder sie verändern sie dadurch, dass sie von ihnen abweichen.
Anthony Giddens, auf den diese Sichtweise zurückgeht, verdeutlicht den Zusammenhang am Beispiel der Sprache. Wenn wir in der Schule eine Sprache erlernen, tun wir dies im Erlernen von Vokabeln und Sprachregeln. Wir bemühen uns, diese Regeln möglichst genau einzuhalten. Indem wir genau so handeln, tragen wir zur Verfestigung der Regeln bei. Wenn wir es aber mit den Regeln nicht so genau nehmen, befördern wir das Aufweichen der Regeln. Folgen uns viele dabei, dann wird z.B. „der Dativ ... dem Genitiv sein Tod“, wie es Bastian Sick formuliert hat. Die tatsächlich geltenden sozialen Regeln und Rahmenbedingungen werden also keineswegs allein von politischen Institutionen bestimmt. Sie unterliegen dem Einfluss der sozialen Akteure und damit auch dann dem historischen Wandel, wenn sie formal gar nicht geändert werden.
Wenden wir diese Einsichten auf die Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise an und konstatieren, dass dazu eine Abkehr vom Wachstumspfad zumindest für die sog. entwickelten Länder unerlässlich ist. Dann heißt das, dass es durchaus Sinn macht, den Einzelakteuren die prinzipielle Kontingenz ihres Handelns vor Augen zu führen. Dazu gilt es nachzuweisen, dass wir uns durch unser aktuelles Handeln tatsächlich nicht mehr Wohlergehen verschaffen, sondern uns selbst schädigen und dabei auch die natürlichen Grundlagen unseres Lebens beeinträchtigen bzw. vernichten.
Wir können anders, wir können homo sapiens statt homo oeconomicus, auch unter den herrschenden Bedingungen einer globalisierten Wirtschaftsgesellschaft:
Vor allem als Konsumenten, die wir alle sind, können wir unser Geld bedacht einsetzen, um solche Produkte und Leistungen zu erwerben und zu nutzen, die uns gut leben lassen und zugleich unseren Fußabdruck reduzieren helfen. Die Literatur zum nachhaltigen Konsum (z.B. Bilharz) belegt, dass das besonders für die Bedürfnisfelder Wohnen, Mobilität und Ernährung gilt. Die Stichworte sind: verdichtetes Wohnen, Fahrrad, Bus und Bahn, weniger Fleisch, fair gehandelte und umweltgerechte Lebensmittel. Hinzu kommen Regionalität, Shareconomics, Verlängerung der Nutzungsdauern, Kreisläufe schließen…. Hinzu kommt aber vor allem - denn es geht hier ja um die Mitwirkung an einem Kulturwandel - den eigenen bedachten Konsum gegenüber Freunden und Nachbarn zu kommunizieren, um zu zeigen, dass dieser möglich ist, keineswegs eine Einbuße an Lebensqualität bedeutet und auch mit kleinem Geldbeutel machbar ist.
Wir als Arbeitnehmer können eigenständige Beiträge zur Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen und der ökologischen Auswirkungen der Produktion leisten. Statt immer mehr Stress können wir weniger lohnarbeiten und das bei Unternehmen, die etwas für die Nachhaltigkeit tun. In solche Unternehmen können wir uns einbringen mit unseren Anliegen und unserer Kreativität. Das steigert nicht zuletzt unsere eigene Arbeitszufriedenheit und schafft uns zudem Raum für selbstbestimmtes Leben in anderen sozialen Kontexten. Wir können als Mitglieder von Gewerkschaften auch auf die Rahmenbedingungen einwirken, z.B. nicht auf staatliche Hilfen bei der Durchsetzung auskömmlicher Löhne hoffen, sondern sie aus eigener Kraft durchsetzen. Zum Können und Wollen gehört allerdings auch das Dürfen und damit ist der Ball bei den Unternehmen, die das Arbeits- und Nachhaltigkeitsengagement von Mitarbeitern ermöglichen müssen.
Als Unternehmer können wir die soziale Verantwortung, die wir ohnehin haben, endlich substantiell wahrnehmen, anstatt koste es was es wolle Löhne zu drücken, kostengetrieben Outscourcing zu betreiben und Nachhaltigkeit nur in Hochglanzbroschüren zu beschwören. Wir können Stoffkreisläufe schließen und Klimaschutz umsetzen, auch um die Rohstoffgrundlagen und die Resilienz des Unternehmens langfristig zu sichern. Und wir können unterlassen, was von nachhaltiger Entwicklung wegführt. Auch Unternehmen, die nicht wachsen wollen, sind wirtschaftlich erfolgreich. Es gibt immer mehr Mittelständler, die das unter Beweis stellen.
Eine Abkehr vom vermeintlichen Wachstumsdiktat ist also prinzipiell jedem Einzelnen in den verschiedenen sozialen Rollen möglich. Der/die Bescheidene und Bedachte ist keineswegs der/die Dumme, sondern gehört zur Avantgarde eines neuen menschlichen Lebensstils.
Die Schwierigkeiten des damit propagierten „akteurszentrierten“ Weges sollen keineswegs übersehen werden. Die heutigen technischen und sozialen Strukturen machen oft diejenigen zu Außenseitern, die andere Wege erproben wollen. Und diese Wege müssen vielfach nicht zuletzt gegen sich selbst durchgesetzt werden. Von Michael Bilharz wissen wir, dass z.B. BUND-Mitglieder einen größeren ökologischen Fußabdruck haben als der Durchschnitt der Deutschen. Es ist vielfach einfacher, der Politik den Ball zuzuspielen und sie für falsche Wege zu kritisieren, als bei sich selbst anzufangen. Das „richtige Leben im Falschen“ kann einen tief greifenden kulturellen Wandel einleiten, der jedoch nur dann erfolgreich und friedlich vonstattengehen wird, wenn sich die Zahl der Menschen, die einen solchen Wandel tragen, von der Minderheit, die sie heute zweifellos darstellen, in eine tragfähige Mehrheit mit langem Atem verwandelt.
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