von Jana Holz und Elena Hofmann
Was hat die Degrowth-Konferenz gebracht? Und wie geht es weiter? – Eine erste Gelegenheit zur Auswertung und zum Ausblick bot die Rosa-Luxemburg Stiftung Berlin mittels eines Workshops „Postwachstum – sozial-ökologische Perspektiven für linke Politik“ am 30/31. Oktober. Die Stiftung lud zum Austausch und zur Vernetzung Interessierte aus den eigenen Reihen und dem breiteren grün-roten Umfeld ein. Um die 35 Personen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft nahmen die Einladung an. Der Fokus lag dabei auf der Frage was „Postwachstum“ und „sozial-ökologische Transformation“ für die Arbeit der rot-rot-grünen politischen Akteure konkret bedeuten. Hierbei stellte sich für die Teilnehmenden die Frage, inwieweit auf Basis dieser Konzepte das rot-rot-grüne Projekt weiter ausgebaut werden könnte.
Zum Einstieg teilten Hermann Ott, Ulrich Brand, Tadzio Müller, Steffen Kühne und Katharina Pühl (RLS), Barbara Muraca und Christoper Laumanns ihre persönlichen Eindrücke und Auswertung der Degrowth Konferenz 2014 mit. In den Inputs und der Diskussion stellte sich heraus, dass die Konferenz einen kollektiven Bewegungsraum eröffnen konnte. Alle waren sich einig, es herrschte Aufbruchsstimmung und ein besonderer „Glitzer“ hing in der Luft. Das Entstehen des Kollektivgefühls wurde jedoch durch die relativ homogene Teilnehmer_innenzusammensetzung erleichtert: Die Mehrheit der Teilnehmenden war deutsch, jung, weiß, akademisch – und nicht institutionell organisiert. Die Berichterstatter_innen beschrieben eine postideologische bzw. pre-politische Elite aus Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen und Künstler_innen, die sich auf der Degrowth zum ersten Mal unter einem gemeinsamen Dach gefunden haben. Dies habe einen Austausch zwischen Generationen, unterschiedlichen politischen Zugangsweisen und Ansätzen einer sozial-ökologische Transformation ermöglicht. Trotz dieser Unterschiede stellten die Teilnehmenden nur einen Teil des links-ökologischen Spektrums dar, Gruppen wie die radikale Linke, Gewerkschaften und Akteure der parlamentarischen Politik waren kaum zugegen. Mehr Akteure aus dem Globalen Süden hätten der Vielfalt an Perspektiven ebenfalls gut getan.
Die post-ideologische Haltung vieler Teilnehmender zeigte sich laut der Berichterstatter_innen unter anderem in dem Blick auf das Individuelle, auf Verhaltensänderungen statt Strukturveränderungen und auf kleine konkrete Projekte. Es gab Nischen für systemkritische Fragen, wie feministische Theorie, diese wurden jedoch meistens nicht in den übergreifenden Diskurs mit einbezogen. Auch wenn in dieser Wahrnehmung Kritik mitschwang, wurde diese Besonderheit auch als Charakteristikum der Bewegung und des Moments erkannt. Diese hat ihre Berechtigung, da Postwachstum nicht nur als politische Struktur, sondern immer auch als Lebensweise verstanden werden muss. Jetzt stellt sich die Frage, wie kann dieses kollektive Glitzern der Degrowth 2014 zu einer sozialen Bewegung werden?
Eine Ausweitung der Aktiven und eine Konkretisierung der Inhalte wurde als zentraler Ansatzpunkt genannt. Hier setzt der Workshop an, indem die Verknüpfung zu realen politischen Projekten herstellt wird.
Nach dem Rückblick auf die Degrowth 2014 bestand der Workshop größtenteils aus Kurzinputs zu verschiedenen Projekten und Ideen einer konkreten sozial-ökologischen Politik, die von Expert_innen vorgetragen wurden.
Als ehemaliges Mitglied der Enquete Kommission zu Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität fasste Hermann Ott zunächst die dort begonnenen Diskussionen und einige Ergebnisse zusammen. Vor allem auf die Frage nach einer Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch hat die Enquete gemeinsame Antworten finden können. Ott verwies unter anderem auf die inneren und äußeren Grenzen des Ziels einer absoluten Entkopplung, ein Beispiel hierfür ist der Rebound-Effekt. Tadzio Müller (RLS) schlug die "Ehe“ zwischen Klimagerechtigkeit und Degrowth als eine Verbindung mit Potential für beide Bewegungen vor. Die quasi gescheiterte Klimagerechtigkeitsbewegung kann im Problem- bzw. Lösungsrahmen des entstehenden Postwachstumsdiskurses neu gefasst werden. Während in der Klimagerechtigkeitsbewegung die ökologischen Schulden des Nordens im Vordergrund stehen, eröffnet die Postwachstumsdebatte attraktivere und umfassendere Ansätze, besonders für den Globalen Norden.
Ein großer Teil des Workshops beschäftige sich mit Diskussionen zu „Plan B“, einem Projekt der Bundestagsfraktion der LINKEN, in der Alternativen zu heutigen Lebensweise entwickelt wurden. So soll die sozial-ökologische Transformation innerhalb des linken Spektrums vorstellbarer und konkreter werden. Die Themen, die auf dem Workshop besprochen wurden, waren Energie, Wirtschaft und Mobilität. Uwe Witt (Fraktion Die LINKE) diskutierte die linke Position zu Energiepolitik, wobei die Übereinstimmungen und Konflikte innerhalb des linken Spektrums zur Durchführung der Energiewende klar wurden. Besonders zu nennen sind hierbei: Kohle als Spannungsfeld, Akzeptanzprobleme innerhalb der Bürger_innenschaft und Gewerkschaften sowie der Konflikt zwischen Naturschutz und Postwachstum. Hans Thie (Fraktion Die LINKE) wies darauf hin, dass das Denken von alternativen Formen des Wirtschaftens wieder möglich sei. So muss in der Postwachstumsökonomie die Freiheit ein anderes, selbstbestimmtes und ressourcenleichtes Leben zu führen vergesellschaftet werden. Dominik Fette (Fraktion Die LINKE) plädierte für eine Verkehrswende parallel zur Energiewende, die jedoch bisher kaum Thema in der Politik sei. Der Fokus sollte dabei auf einer Veränderung des Personenverkehrs sein, da hier die größten Potentiale für verbesserte Lebensqualität liegt. So kann die Verkehrswende als Politik des Postwachstums verstanden werden.
Der zweite Workshoptag eröffnete mit einem Vortrag zu Geschlechterverhältnissen im Postwachstum. Sybielle Bauriedl machte darauf aufmerksam, dass eine Postwachstumsgesellschaft auch eine Postpatriarchatsgesellschaft sein muss. Eine feministische Ausrichtung der Transformationsdebatte, die Herrschafts- und Machtverhältnisse erstens mitdenkt und zweitens intersektional betrachtet, ist notwendig. Aus der Empörung über die Einschränkungen, die diese Herrschaftsverhältnisse mit sich bringen, sei Potential für ein Momentum der Bewegung zu schöpfen. Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, welches kritische Perspektiven auf das Konzept „Gutes Leben“ eröffnet. Sie betonte, dass gutes Leben keine individuelle Frage sei, wie es in der Glücksökonomie suggeriert wird, sondern dass es sich hier um eine politische Frage handele. Postwachstum müsse die Bedingungen für Wohlstand für alle schaffen, indem das Unbehagen, was durch die heutigen Lebensweisen entsteht, politisiert wird. Zuletzt sprach Nina Netzer (FES) zu politischen Widerständen zu Postwachstum. Hierbei ging sie besonders auf Gewerkschaften ein, die bisher keine zentrale Position in der Postwachstumsdebatte einnehmen. Netzer erkennt jedoch in einer Annäherung von Postwachstumsakteur_innen und Gewerkschaftler_innen Potential für neue Debatten zu Arbeit und für ein emanzipatorisches Moment.
Das Glitzer der Degrowth-Konferenz war während des Workshops zwar nur in deren Auswertung zu spüren, doch eine erste Übersetzungsleistung in konkrete Politiken und Bündnisse fand statt. Wir hoffen, dass dies zukünftig von mehr Akteur_innen auf verschiedenen Ebenen erbracht werden kann. Denn solche Zwischenschritte sind für das Voranbringen der sozial-ökologischen Transformation zentral.
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