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Gerechtigkeit ist elementarer Bestandteil des Degrowth-Prozesses. Ohne geht es nicht.

18.06.2014

In unserem Interview für den Stream towards Degrowth diese Woche sprachen wir mit Joachim Spangenberg, dem Co-Coordinator des EJOLT -Projektes für Umweltgerechtigkeit, das im April eine Karte der weltweiten Ressourcen- und Umweltkonflikte veröffentlichte. In einem Onlinekurs im Rahmen des Projektes  trainieren Vertreter/innen von Umweltbewegungen den erfolgreichen Umgang mit Medien, Politikern und vor Gericht. In EJOLT arbeiten dazu NGOs und Wissenschaftler/inne/n eng zusammen um Erfahrung und erfolgreiche Praxis auszutauschen und weiterzugeben.

Joachim Spangenberg war außerdem Reviewer für die Degrowth Konferenz und koordinierte als Sprecher des Arbeitskreises Wirtschaft und Finanzpolitik die Beiträge des BUND. In unserem Interview haben wir über die Aktivitäten von EJOLT gesprochen und sind den Zusammenhängen zwischen Gerechtigkeit und Degrowth im Konzept "Environmental Justice" nachgegangen.

Herr Spangenberg, für viele bei EJOLT ist Degrowth im globalen Norden zu einem erheblichen Teil die korrespondierende Richtung zu Environmental Justice im globalen Süden...

Auf unserer Karte der Umweltkonflikte kann man nicht nur sehen, welche Regionen betroffen sind und welche Branchen die Konflikte auslösen, sondern auch woher die Verursacher kommen. Diese Firmen sind sehr häufig aus dem Bergbausektor oder anderen verarbeitenden Industrien und sowohl privat, als auch staatlich. Aber ihr Sitz liegt fast ausschließlich - mit wenigen Ausnahmen - in Industriestaaten, insbesondere in Europa und den USA. Die Opfer dieser Konflikte sind durchgängig wesentlich häufiger in den Ländern des globalen Südens zu finden. In diesen Ländern werden jeden Monat zwei bis drei Führer/innen von Umweltbewegungen ermordet. Da hat Umweltschutz nichts mit gutem Willen zu tun – es geht um lebensbedrohendes und lebensverteidigendes Engagement.

Staat oder Unternehmensorganisation - auf welcher Ebene wird dieses Handeln strukturell zugelassen bzw. begünstigt?

Allein die staatlichen Firmen im Bereich der Energieförderung in den OECD-Staaten tragen 200 Milliarden Dollar im Jahr zu den Staatseinkommen bei. Viele Staaten sind finanziell abhängig von diesen Unternehmen, und von den Steuern der privaten Rohstofffirmen.

Gleichzeitig sind viele dieser Privatfirmen börsennotierte Unternehmen. Interessen an möglichst hohen Kursen kollidieren mit ambitionierten Umweltzielen. Ein Beispiel: für das Erreichen des 2°-Ziels müssten zwei Drittel der fossilen Ressourcen im Boden bleiben. Würde dies tatsächlich durchgesetzt, dann würden die Aktienkurse der weltgrößten Konzerne plötzlich ins Bodenlose fallen, weil ihr Marktwert sich nach den Ressourcen richtet, die sie besitzen, denn die gelten als die Basis zukünftiger Gewinne. Alles was die Gewinnerwartung schmälert drückt den Börsenwert - das gilt auch für Umweltgesetze, Arbeitsschutzgesetze und für den Schutz indigener Bevölkerung.

Die großen Bergbauunternehmen Australiens zum Beispiel würden 50% ihres Börsenwertes verlieren, wenn sie 2/3 ihrer fossilen Reserven als „unburnable fuels“ abschreiben müssten. Bergbau- und Ölfirmen, aber auch die Abfallwirtschaft tun natürlich alles um strengere Gesetze, ambitionierte politische Ziele und effektive Sanktionsmöglichkeiten zu verhindern. Seit dem Energie-Einspeisungs-Gesetz weiß man, dass die großen Unternehmen nicht unbedingt am längeren Drücker sitzen – RWE hat 80% seines Börsenwertes verloren. Man sieht aber auch, wie zäh der Kampf gegen die Erneuerbaren, auch mit Hilfe der Bundesregierung, fortgesetzt wird um so viel es geht vom Börsenwert zu retten.

Welche Potenziale liegen in der globalen Vernetzung von Umweltorganisationen?

Bei EJOLT arbeiten NGO-Vertreter/innen und Wissenschaftler/innen zusammen und lernen dabei gemeinsam, die - völlig berechtigten - Anliegen der NGOs in einer ökonomischen oder juristischen Sprache zu formulieren, mit der sie gegenüber bei Medien und Politiker/inne/n oder vor Gericht eine bessere Würdigung erfahren. Dabei bauen wir auf den Erfahrungen und Praktiken von NGOs weltweit auf. Wir arbeiten zum Beispiel derzeit mit Friends of the Earth Nigeria zusammen, die gegen Shell kämpfen. Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir – Umweltaktivisten aus Nigeria, den Niederlanden, Norwegen und Italien, unterstützt von Wissenschaftlern aus Spanien, Brasilien und Deutschland - Informationsmaterialien darüber erstellt, wie man Konzerne erfolgreich vor Gericht bringt. Diese Materialien sind über die Projekthomepage kostenlos verfügbar und werden über unsere NGO- und Wissenschafts-Netzwerke verbreitet; auch das europäische Umweltbüro EEB macht mit.

Mit Konzepten wie den „ökologische Schulden“ machen Sie auf ungleichen Beziehungen zwischen globalem Norden und globalen Süden aufmerksam. Welche Implikationen haben diese? Gleicht das einer Forderung an die Industrieländer sich ökonomisch „zurückzuziehen“?

Zuerst: Es ist bemerkenswert, dass die Konzepte vom ökologischen Fußabdruck bis zum unfairen Austausch sich aus den sozialen Bewegungen entwickelt haben und dann erst von der Wissenschaft übernommen wurden. In vielen großen Förderprogrammen wird übersehen, dass die Wissenschaft im eigenen Saft kocht, wenn sie nicht von der Zivilgesellschaft lernt wo die Probleme liegen und wie die Leute damit umgehen.

Durch feste Vorschriften für die nachhaltige Bewirtschaftung von Ressourcen würden einige Umweltvergehen wirtschaftlich unrentabel, die vorher rentabel waren, und anders herum würde es attraktiv zum Beispiel in Energieeinsparung und Effizienz zu investieren, statt neue Kohle- und Ölreserven zu erschließen. Trotzdem können Abgaben und Ökosteuern oder Appelle an die Unternehmensverantwortung nicht unterbinden, dass weiterhin verantwortungslos agiert wird, um Kapital rentabel anzulegen; dem kann im Prinzip nur politisch eine Grenze gesetzt werden. Es ist die Aufgabe der NGOs (Umweltverbänden, Dritte Welt Gruppen, Gewerkschaften,…) in den Industrieländern, auch und gerade in Deutschland, diesen Ungerechtigkeiten gemeinsam etwas entgegen zu setzen.

Aber ist das ein Rückzug? Das glaube ich nicht. Es geht weniger darum, geographische, als moralische Grenzen aufzuzeigen. Bisher profitieren global agierende Firmen davon, dass Schutzvorschriften für den Erhalt von Gemeingütern zu schwach sind - oder die sie durchsetzenden Institutionen. Das muss sich ändern.

Ist daraus nicht eine klare Folge, dass die Wirtschaft in den Industrieländern schrumpfen muss?

Allein der physische Durchsatz der westlichen und nördlichen Volkswirtschaften muss sich um 70-80% im Laufe dieses Jahrhunderts verringern und die Frage ist dabei: wie kann man das gestalten, ohne dass bei uns Elend und Armut ausbricht? Welche Folgen das für das Bruttosozialprodukt hat ist im Prinzip völlig egal, es interessiert niemanden außer dem Finanzminister und vielleicht den Bankern, die Angst um ihre Zinseinnahmen haben. Wir müssen mit dem physischem Verbrauch runter, wir brauchen eine schlankere Ökonomie und wir müssen auch dafür sorgen, dass es dabei sozial gerecht zugeht.

Sie sagen damit, Sie sehen Gerechtigkeit als eine Begleiterscheinung des Prozesses? Würde ein Reduktionsprozess durch eine gerechte Verteilung positiv beeinflusst?

Erstens ist Gerechtigkeit ein elementarer Bestandteil wie auch eine Voraussetzung eines jeden Degrowth-Prozesses, und keine Begleiterscheinung. Ohne das geht es nicht. Zweitens zur Verteilung: Man kann in einem Land die Wohlfahrt erhöhen, indem man Einkommen und Ressourcen umverteilt (ein Hartz IV-Empfänger hat mehr von 100,- € extra als ein Millionär). Aber mehr Einkommensgerechtigkeit führt auch zu einem Anstieg des Konsums, weil die ärmeren Schichten einen größeren Teil ihres Einkommens direkt konsumieren (müssen). Es geht also darum, wie dieser Konsum aussehen kann. Im Prinzip müsste es darauf hinauslaufen, mehr auf Qualität und Langlebigkeit statt auf Quantität zu setzen und die Lebensqualität, die Art der den Menschen verfügbaren Dienstleitungen steigern, ohne dass die Anzahl der Produkte zunimmt.

Ich glaube, der Unterschied zwischen „mehr Konsumieren“ und „besser Leben“ zeigt sich sehr deutlich in den Debatten über das „gute Leben“, die jetzt in Lateinamerika geführt werden (bei uns ist es um diese Themen nach den Diskussionen in den 1970er und 1990er Jahren ja sehr ruhig geworden) – da haben wir noch Lernbedarf. Aber eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir von „weit entfernten Nachbarn“ im globalen Süden lernen können, ist, unsere Vorstellung zu de-ökonomisieren. Ohne ein Umdenken, das Lebensqualität in den Vordergrund setzt statt mehr zu verdienen, finden wir keine Lösung.

Büßt Wachstumskritik nicht stark ein, wenn sie lediglich auf das Ziel begrenzt wird, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren? Der gerechte Zugang für Menschen zu ihren Lebensgrundlagen hat schon rein terminologisch mit „Rechten“ zu tun, das ist klar. Wenn man, wie Sie es tun, starke Institutionen, als starke Rechtsvertreter der Gesellschaft, gegenüber Wirtschaftsinteressen fordert – kann man dann gleichzeitig die Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum in Kopplung mit Banken und Finanzstrukturen als destabiliserenden Faktor übersehen? Was hilft die Kritik an rücksichtslosen Wirtschaftsinteressen, wenn man sie nicht bis auf die höhere Ursachenebene durchzieht? Muss man in diesem Punkt nicht mehr als wachsam bleiben?

In den letzten 250 Jahren haben es 20% der Menschheit geschafft, Armut, Not und Krankheit weitgehend zu überwinden, und dabei die Ressourcen des Planeten geplündert. Heute sind weitere 60% auf demselben Wege und es ist völlig klar, dass – wenn sie diesen Weg so weitergehen wie wir es vorgemacht haben – das zum Kollaps des Systems Erde führen muss. Die globale Herausforderung ist also, ein menschenwürdiges Leben für alle zu ermöglichen bei dem absolut deutlich weniger Ressourcen verbraucht und Emissionen erzeugt werden wie heute; mit einer Halbierung wären wir wahrscheinlich auf der sicheren Seite.

Außerdem hat niemand die natürlichen Ressourcen gemacht, hergestellt oder verteilt – sie sind nach meiner Auffassung ein gemeinsames Erbe der Menschheit und das Recht sie zu nutzen muss gerecht verteilt werden. Das klingt harmlos, bedeutet aber (weil heute 20% der Menschheit rund 80% der Ressourcen verbrauchen) eine Reduzierung um rund 4/5. Zusammen ergibt sich die Notwendigkeit für uns in den reichen Ländern, rund 90% weniger Ressourcen zu verbrauchen, als eine Bedingung ökologischer wie globaler sozialer Nachhaltigkeit.

Das wird ohne andere Produktionsweisen und Konsumstile nicht gehen, und es erfordert eine massive Umverteilung, wenn es nicht zu einer sozialen Katastrophe führen soll. Und das wiederum heißt, sich nicht länger vor der entscheidenden Frage zu drücken: wie bricht man die Macht derer, die von status quo profitieren und alles tun um ihn weiter zu verlängern, zum eigenen Gewinn und zu Lasten der großen Mehrheit? Konkret, wenn man z.B. eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung durchsetzen will muss man nicht nur ein besseres und umfassendes Mindesteinkommen fordern, sondern auch ein Maximaleinkommen. Und wenn man die Vermögensverteilung ändern will ist die beste Methode die Erbschaftssteuer zu nutzen, oder Erbschaften zu deckeln: 10 Millionen sind rechnerisch genug um einem Erben lebenslang, über 80 Jahre, jeden Monat 10.000 € ohne jede Arbeit zukommen zu lassen: wer braucht eigentlich mehr? Natürlich gibt es da von Steuern bis zu vererbten Unternehmensanteilen zahlreiche Detailfragen, aber das sollte nicht vom Kern der Frage ablenken: sollte nicht eine Vererbungs-Obergrenze das nächste wichtige Diskussionsthema sein?

Nachhaltigkeit heißt gemäß der Brundtland-Kommission „Menschliche Bedürfnisse befriedigen, insbesondere die der Ärmsten, und dabei die Grenzen der Naturnutzung einhalten“. Das schafft unser heutiges Wirtschaftssystem nicht, es ist sozial ignorant und ökologisch blind; wir können es uns eigentlich schon seit ein paar Jahrzehnten nicht mehr leisten. Wir leben ökologisch (nicht so sehr monetär) vom Bestand und verpulvern das, was nachkommende Generationen als Lebensgrundlage brauchen würden, und wir verteilen den Gewinn so, dass 1% massiv profitiert und 90% leer ausgehen, z.T. sogar weniger haben. Das ändern zu wollen heißt aber echte Demokratie zu fordern, und damit die Frage nach der Macht im Lande zu stellen. Das klingt radikal, und ist es auch: radix (lat. die Wurzel) der Probleme ist es wo man ansetzen muss, wenn sich mehr als kosmetische Änderungen ergeben sollen, und die sind für die weitere Existenz unserer Zivilisation (nicht der Menschheit) überlebenswichtig.

Das Interview führte Felicitas Sommer mit Joachim Spangenberg. Vielen Dank!

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