Wir haben die Leute von ausgeCO2hlt um ein Interview gebeten, welches sie uns in einer möglichen Zukunft geben, einer Zukunft ohne wachstumsfixierte Wirtschaftspolitik. Dazu schickten wir ihnen einige Fragen. Wir bekamen zwar kein Interview, dafür aber einen sehr schönen Text als Antwort.
Damals, vor 20 Jahren, als der Klimagipfel in Kopenhagen spektakulär gescheitert war, fanden sich im Rheinischen Braunkohlerevier bei Köln einige versprengte Klima-Aktivist_innen zusammen. Die UN-Verhandlungen hatten sie aufgegeben, aber ihnen war auch klar, dass „Klimaschutz“ nichts mit Stromspartipps im eigenen Haushalt zu tun hatte. Sie teilten die Überzeugung, dass Klimaschutz eine breite soziale Bewegung braucht, die an Machtverhältnissen rüttelt und sich der Ausbeutung von Mensch und Natur in den Weg stellt. Sie waren überzeugt, dass sie, wenn sie die globale Erwärmung aufhalten wollten, am Kern unseres Wirtschaftssystems ansetzen mussten, das auf der Mär von unendlichem Wachstum aufbaut. Kapitalismus? – hatten schon viele kritisiert. Postwachstum? – Eine ganz schön abstrakte Idee ohne wirkliches Potential zur Massenmobilisierung. Was blockiert man, wenn man gegen Wirtschaftswachstum ist? Oder hält man da nicht besser eine Vorlesung?
Die versprengten Klima-Aktivist_innen schauten sich im Rheinischen Braunkohlerevier um und beschlossen zu bleiben. Sie sahen die Schlote der vier großen Kraftwerke, die Europas größte CO2-Quelle waren. Sie sahen abgeholzte Wälder, plattgewalztes Ackerland und die Krater der Tagebaue. Sie sprachen mit enteigneten Menschen, deren Dörfer und Elternhäuser von RWE abgerissen worden waren. An den Mondlandschaften des Reviers wurden die Auswirkungen unseres unersättlichen Ressourcenverbrauchs mit bloßem Auge sichtbar – darum nahmen sich die Aktivist_innen vor, diesen Ort zu ihrem Hebelpunkt zu machen. Für ihren Kampf gegen Braunkohle, Klimawandel und das komplette kapitalistische System. Am Anfang waren es 20 Menschen, die sich das Tor des Braunkohlekraftwerks Neuraths blockierten. Im Jahr drauf blockierten 80 Menschen für 12 Stunden eine Kohlebahn – die Lebensader zwischen Kraftwerken und Tagebau. Und 200 Menschen kamen zum Klimacamp, wo sie gemeinsame Aktionen planten und sich über widerstandsfähige Lebensweisen austauschten, die Unabhängigkeit von fossilen Energien und Marktmechanismen ermöglichten. Eine Gruppe von ihnen zog in den Hambacher Forst, um den uralten Wald vor der Abholzung zu schützen. Im nächsten Jahr waren es fast 1000 Menschen aus ganz Europa, die auf dem Klimacamp zusammenkamen.
Und es wurden immer mehr. Während 2015 der UN-Klimagipfel in Paris tagte und scheiterte, blockierten 5000 Menschen die Gleise der Hambacher Kohlebahn. Die Polizei brauchte länger als drei Tage, um die Blockade zu räumen. Die Braunkohlekraftwerke mussten heruntergefahren werden, da ihre Zufuhr zu lange unterbrochen worden war. Gleichzeitig kletterten in Polen mehrere hundert Menschen auf Braunkohlebagger und verhinderten, dass sie sich weiter in die Erde fraßen. Und in den umstrittenen Dörfern in der Lausitz wurde an dem Tag ein großes Fest gefeiert. Das Gebiet hätte schon längst abgebaggert werden sollen, doch hunderte von Menschen waren in den letzten Jahren dort hingezogen, hatten neue Häuser gebaut und alte Häuser bunt angestrichen, freie Schulen und Universitäten gegründet und Gärten angelegt. Als sie weg gehen sollten, blieben sie einfach da.
Die Bewegung war gewachsen. Und sie sprach konsequent aus, was es mit sich brachte, gegen Kohle zu sein: nämlich den Tropf abzureißen, an dem unsere Gesellschaft hängt. Ihre Vision einer Energiewende musste darum gründlicher sein. Solarbetriebene Apfelsinensaftauspressmaschinen hatten darin keinen Platz, ebenso wenig wie mit Biodiesel betriebene Kampfjets oder das Menschenrecht auf einen Geländewagen.
Nachdem 2017 ein Teil des grönländischen Eisschildes in den Atlantik rutschte und in Folge ein riesiger Tsunami Küstenstädte in Westeuropa verwüstet hatte, erhielt die Bewegung weiteren Zulauf. An einem ersten internationalen Aktionstag geschah Folgendes: in Frankreich umzingelten Tausende Menschen ein Atomkraftwerk. In London Heathrow campierten so viele Menschen auf den Landebahnen, dass der Flugverkehr zum Erliegen kam. Aus einem deutschen Schlachthof entkamen alle 200.000 Hähnchen, die an dem Tag hätten getötet werden sollen und versetzten die umliegende Ortschaft in einen Ausnahmezustand. Und in Island mussten aus ungeklärten Gründen mehrere Alu-Schmelzen ihren Betrieb einstellen. Man vermutete dahinter das Zauberwerk eines politisch emanzipierten Gnoms. Aus Solidarität mit den Protesten in Europa streikten in China und Indien die Arbeiter*innen in mehreren Kohle-Minen.
Die Bewegung fuhr fort, an allen Orten und Ecken der Welt zerstörerische industrielle Abläufe zu verhindern und konnte damit den CO₂-Ausstoß drastisch senken. Die damals noch bestehenden Nationalstaaten waren sowohl mit dem Ausmaß der ökologischen Katastrophe als auch mit den anhaltenden Aktionen dermaßen überfordert, dass es den selbstorganisierten Hilfsnetzwerken, die in den letzten Jahrzehnten aus der Graswurzelbewegung heraus gewachsen waren, nicht schwer viel, ihre Wirkung zu entfalten. Ländereien und Fabriken wurden besetzt und eine überregionale Solidarische Ökonomie wurde aufgebaut. Den alternativen Fortschritts-Komittees gelang es, mit dem Material von ausrangierten Raumschiffen Computer herzustellen, die 100 Jahre halten würden, und die regionale Versorgung mit Lebensmitteln zu perfektionieren. In der Zeit, die die Menschen sparten, weil sie keine solarbetriebenen Apfelsinensaftauspressmaschinen mehr entwerfen, produzieren, vermarkten, transportieren und abstauben mussten, hatten sie Zeit, mit dem Fahrrad zu ihren politischen Treffen zu fahren. Sie konnten sich auch Zeit dafür nehmen, gründliche Entscheidungen zu treffen, mit denen am Schluss alle einigermaßen zufrieden waren. Das war wichtig – denn es gab immer noch viel zu tun.
ausgeCO2hlt tritt für einen sofortigen Braunkohleausstieg ein. Die Gruppe organisiert Klimacamps und direkte Aktionen im Rheinischen Braunkohlerevier bei Köln. Das ist die Geschichte, die sie in 20 Jahren gerne erzählen würde.
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