Von Gerhard Schick
Die wachstumskritische Debatte lebt bei den Grünen schon sehr lange. Zuletzt wurde dies in der Vorbereitung auf die Bundestagswahl 2013 deutlich. In einem Mitgliederentscheid wählte die Grüne Basis das Projekt „Neue Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität“ zu einem unserer TOP-Themen. Eine umfassende programmatische Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen von dauerhaftem Niedrig- oder Nullwachstum steht bei uns Grünen bislang noch aus, aber wir haben damit begonnen.
Ein entsprechender Prozess wurde auf dem letzten Bundesparteitag von mir gemeinsam mit einigen Kolleginnen und Kollegen angeschoben. Diese Debatte muss nun fortgesetzt werden. Wollen wir damit Wirkung entfalten, müssen wir die Grüne Revolution und die Postwachstumsgesellschaft zusammen denken.Dass wir uns zwingend mit der Wachstumsfrage befassen müssen, liegt auf der Hand. Zum einen steuern wir ohnehin auf eine Zeit des Niedrigwachstums zu. In den 50er Jahren ist die deutsche Wirtschaft noch um 120 Prozent gewachsen, in den 70er Jahren waren es noch 31 Prozent und in den 90er Jahren noch 15 Prozent. Generell ist weltweit zu beobachten, dass die Wachstumsraten in den entwickelten Industrienationen zurückgehen. Grund genug dies als Chance zu erkennen und sich ernsthaft anzuschauen, was bei anhaltendem Niedrig- oder Nullwachstum passieren würde.
Daneben bleibt das alte, aber nach wie vor zentrale Argument der Grenzen unseres Planeten. 2013 war der „Earth Overshoot Day“, der Tag, an dem die Menschheit die natürlichen Ressourcen eines ganzen Jahres erschöpft hat, am 20. August. 2014 wird er noch etwas früher liegen. Zwar werden wir immer effizienter und das Potential ist noch riesig. Das Fraunhofer Institut hat 2013 berechnet, dass jährlich mindestens 14 Terawattstunden Strom eingespart werden könnten – das entspricht in etwa der Erzeugungsmenge von zwei großen Kohlekraftwerken im Jahr. Allerdings ist es in der Summe noch nie gelungen, ein Mehr an Wachstum ohne ein Mehr an Ressourcenverbrauch und Verschmutzung zu ermöglichen. Der viel beschworene Rebound-Effekt lässt die Innovationen zum Bumerang werden. Im Haushalt sind strombetriebene Geräte seit Mitte der achtziger Jahre um rund 37 Prozent energieeffizienter geworden. Weil sie auch größer wurden und die Menschen sich mehr Apparate anschafften, stieg der Stromverbrauch insgesamt um 22 Prozent. Absolute Entkopplung bleibt ein Traum.
Dass wir eine nachhaltigere Wirtschaft entwickeln müssen, ist unstrittig. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz, mehr Kreislaufwirtschaft, mehr Recycling und langlebigere Produkte, genau wie es auch Ralf Fücks in seinem Buch „Intelligent wachsen“ beschreibt. Dazu brauchen wir technische Innovationen. Und dazu Investitionen, die auch in bestimmten Bereichen Wachstum fördern. Wir brauchen diese Investitionen und wir brauchen diese „grüne Revolution“. Mit dem Green New Deal haben wir einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, wie wir in der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise durch grüne Investitionen die ins Taumeln geratenen Volkswirtschaften stabilisieren können. Dies ist kurzfristig zwingend nötig. Ein ungeordneter wirtschaftlicher Niedergang ganzer Länder wäre sozial wie politisch unverantwortlich und würde die Einheit und den Frieden in Europa gefährden.
Grüne Investitionen und eine „grüne Revolution“ alleine greifen aber deutlich zu kurz. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson nennt vier Gründe, warum Effizienzsteigerungen nicht ausreichen. Erstens bewegen wir uns schon heute auf einem nicht nachhaltigen Niveau. Zweitens muss jedes zusätzliche Wachstum durch Effizienzgewinne kompensiert werden. Drittens muss das Aufstreben der Schwellen- und Entwicklungsländer ausgeglichen werden und viertens sehen wir uns weltweit nach wie vor einem Bevölkerungswachstum gegenüber. Jackson errechnet daraus, dass wir zum Erreichen der CO2-Ziele unsere Kohlenstoffeffizienz bis 2050 um das 130-Fache steigern müssten.
Zwischen 1990 und 2007 kam es nur zu Effizienzsteigerungen um den Faktor 1,13 bzw. 0,7 Prozent pro Jahr. Nachhaltigkeit durch das neue grüne Wachstumswunder wird es nicht geben! Und genau an dieser Stelle scheiden sich die Geister bei den Grünen. Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, setzt in seinem Buch „Intelligent Wachsen" gänzlich auf die „grüne Revolution“. „Grünes Wachstum oder Kollaps, das ist die Alternative“, heißt es darin. „Der Schlüssel für nachhaltiges Wachstum liegt in einer Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch.“ (S. 35f) Folgen wir ausschließlich dieser Logik, begeben wir uns auf einen gefährlichen Pfad, wie ich in meinem Buch „Machtwirtschaft – Nein Danke!“ beschreibe: Es kann sein, dass sich durch technische Innovationen die negativen Folgen des Wachstums sehr stark bremsen lassen. Aber wie stark, ist völlig unklar. Ob das dann ausreicht, weiß niemand und wann es soweit sein wird, steht völlig in den Sternen. Bei dem, was auf dem Spiel steht, wäre es fahrlässig, sich bei all diesen Fragezeichen zurück zu lehnen und sich mit dem Prinzip Hoffnung zu begnügen. Zumal das, was uns in einer Niedrig- oder Postwachstumsgesellschaft erwartet, kein Schreckens- sondern ein sehr positives Szenario sein kann. Nur wenn wir Konzepte entwickeln, wie wir auch ohne Wachstum Wohlstand für alle ermöglichen können, werden wir global Nachahmer finden.
Wir dürften dem Wachstumsfetisch keinen Anti-Fetisch, nämlich den Ruf nach wirtschaftlicher Schrumpfung entgegenstellen. Das ist weder effektiv (da symbolisch) noch konstruktiv. Es fördert lediglich den ideologischen Streit. Wir müssen eine ernsthafte und konkrete Diskussion dieses „positiven Szenarios“ beginnen und darüber sprechen, was Wohlstand und Lebensqualität bedeutet – und da sind wir zurück bei unserem Projekt aus dem Wahlkampf 2013 und der auf dem letzten Bundesparteitag angestoßenen Wohlstandsdebatte.
78 Prozent der Eltern wünschen sich Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zeit steht an erster Stelle. Es ist viel geschrieben worden über die Generation Y der zwischen 1985 und 1998 geborenen. Ein Tenor zieht sich dabei durch: Glück schlägt Geld! Die junge Generation will Leistung und Lebensgenuss verbinden, will Umdenken, wenn es um die Frage geht, was Wohlstand und Freiheit eigentlich bedeuten.
Dieses Potential müssen wir nutzen. Gleichzeitig müssen wir die gesamte Gesellschaft im Blick behalten. Es gibt nach wie vor viele, die nur schwer mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auskommen. Z.B. Eltern, die beide Vollzeit arbeiten und trotzdem am Ende des Monats auf keinen Cent verzichten können. Wenn es für alle ein besseres, selbstbestimmteres Leben geben soll, auch in Zeiten des Niedrig-, Null-, oder Negativwachstums, dann müssen wir für eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes sorgen. Bislang wurden Verteilungsfragen immer durch Wachstum gelöst. Niemand musste etwas abgeben, alle bekamen etwas mehr, nur die Reichen bekamen sehr viel mehr als die Armen. Das geht bei Niedrig- oder Nullwachstum nicht mehr.
Nun gilt es, die Sache konkret zu machen: Wir müssen uns genau anschauen, was mit unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft passieren würde, wenn wir in eine längere Phase des Niedrig- bzw. des Negativ-Wachstums kommen. In zwei Ländern wurden bereits konkrete Szenarien zu diesen Fragen berechnet. Für Kanada hat Peter Victor verschiedene Szenarien entwickelt. Er kommt zum Schluss, dass auch ohne Wirtschaftswachstum Vollbeschäftigung und Wohlstand möglich wären. Einfach ist dies allerdings nicht, darum ist die weit verbreitete Angst vor wachstumslosen Zeiten durchaus gerechtfertigt. Um trotz Niedrig- bzw. Nullwachstum Stabilität zu erreichen, empfiehlt Victor unter anderem eine Änderung der Investitionsstruktur hin zu mehr öffentlichen Gütern, Arbeitszeitverkürzungen und eine ökologische Steuerreform. Auch in Österreich wurde eine ähnliche Szenarien-Studie durchgeführt. Die Autoren dieser Studie warnen zwar vor „markanten“ Folgen einer dauerhaften Wachstumsschwäche, kommen aber ebenfalls zum Schluss, dass mit gezielten Gegenmaßnahmen, die nicht auf eine Wachstumsbeschleunigung ausgerichtet sind, negative ökonomische Folgen abgefedert werden könnten. Zu solchen Gegenmaßnahmen zählen sie, wie schon die Autoren der Studie für Kanada, unter anderem eine öko-soziale Steuerreform, den Abbau umweltschädlicher Subventionen und Arbeitszeitverkürzungen.
Solche Untersuchungen brauchen wir für Deutschland! Nur wenn wir beginnen, ganz konkrete Wege aufzuzeigen, wie wir unser sozialen Sicherungssysteme stabil halten, wie wir Arbeitszeit verkürzen, wie wir Umverteilung organisieren, so dass alle von der neuen Lebensqualität profitieren können, nur dann können wir einen positiven Entwurf einer Niedrig- oder Postwachstumsgesellschaft entwickeln. Und den brauchen wir, um ihn mehrheitsfähig zu machen.
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