Von Daniel Deimling
Bestehende Ansätze der Postwachstumsökonomik entspringen allesamt der gesamtwirtschaftlichen Perspektive. Die einzelwirtschaftliche Dimension einer Wirtschaft ohne Wachstum blieb bislang weitgehend außer Acht. Diese Forschungslücke ist frappierend, da volkswirtschaftliche Konzepte mit dem Ziel einer Wachstumsrücknahme wie das bedingungslose Grundeinkommen, die Umverteilung von Erwerbsarbeit, zinslose Geldsysteme oder Suffizienz zwar notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für tragfähiges wachstumsneutrales Wirtschaften sind. Konstitutiv für eine Postwachstumsökonomie sind Geschäftskonzepte und Unternehmensformen, die eine Wachstumsrücknahme unterstützen und gestalten. Diese habe ich in einer Forschungsarbeit untersucht. Die zentralen Ergebnisse stelle ich hier kurz dar.
Wachstumsneutralität auf einzelwirtschaftlicher Ebene kann im Kern drei verschiedene Formen annehmen: Unternehmen, die stagnieren (oder gar schrumpfen); Unternehmen, die mit ihrem Geschäftsmodell eine konsumtive Mäßigung im Sinne des Verzichts befördern; Unternehmen, die ihren Fokus auf den Gebrauchswert und die Dauerhaftigkeit von Gütern legen. In meiner Forschungsarbeit habe ich auf der Basis von Unternehmensfallstudien empirisch belegt, dass wachstumsneutrales Wirtschaften innerhalb der bestehenden marktwirtschaftlichen Strukturen nicht nur möglich, sondern auch finanziell dauerhaft tragfähig ist. Unternehmen müssen weder wachsen noch Gewinne erzielen.
Durch eine vergleichende Analyse der vorfindbaren Geschäftsmodelle werden spezifische Charakteristika wachstumsneutraler Unternehmen induziert, die zugleich als betriebswirtschaftliche Erfolgsfaktoren nachhaltiger Unternehmensstrategien gelten können. Erfolgreiche wachstumsneutrale Unternehmen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie eine Gründungsgeschichte haben, die von einer starken Unternehmerpersönlichkeit mit einer Philosophie, die auf einem intellektuellen Theoriegebäude basiert, geprägt ist.
Zudem lehnen sie den Wertbegriff sowie das Unternehmensverständnis der neoklassischen Betriebswirtschaftslehre ab und schaffen ihre eigene Logik frei von systemischen Sachzwängen. Das Nachhaltigkeitsleitbild wird nicht nur durch Umsetzung, sondern auch durch Unterlassung aus Einsicht verwirklicht, auf Wertschöpfungsmöglichkeiten, die negative Auswirkungen auf Mensch und Natur haben, wird verzichtet.
Auf Basis der gegenstandsorientierten Theorie der Charakteristika wachstumsneutraler Unternehmen kann mittels Abstraktion eine formale (normative) Theorie der Unternehmung entwickelt werden, die beschreibt, wie Unternehmen in einer Postwachstumsökonomie wirtschaften sollten: Zu Beginn einer Unternehmensgründung steht nicht die Suche nach Wertschöpfungsmöglichkeiten, sondern die Suche nach sozialen Problemen, die es zu lösen gilt. Anschließend wird ein fundiertes Theoriegebäude basierend auf dem persönlichen Wertesystem des Gründers als Unternehmensphilosophie implementiert, eine eigene unternehmerische Logik geschaffen sowie ein eigenes Wertverständnis entwickelt und der Daseinszweck abgeleitet. Auf der Basis von Philosophie, Wertbegriff und Unternehmenszweck werden Nachhaltigkeits- und Qualitätsansprüche formuliert, die zur Dimensionierung der geeigneten Unternehmensgröße dienen.
Es gibt nicht die geeignete Größe für Unternehmen, sondern jedes Unternehmen muss herausfinden und stets überprüfen, mit welcher Organisationsgröße der größtmögliche Beitrag zum Gemeinwohl geleistet wird. Der Nachhaltigkeitsanspruch, der Qualitätsanspruch, der Raum, der dem Privatleben gegeben werden soll und die Übersicht über die Organisation sind vier Parameter, anhand derer die geeignete Größe eines Unternehmens abgeleitet werden kann. Die Schaffung sinnhafter Arbeitsplätze ist konstitutiver Bestandteil wachstumsneutraler Geschäftsmodelle. Fortlaufend muss sichergestellt werden, dass durch die einzelwirtschaftliche Wertschöpfung keine negativen sozialen und ökologischen Folgen entstehen. Produzierende Unternehmen legen ihren Fokus auf den Gebrauchswert, die Dauerhaftigkeit, die Unempfindlichkeit sowie die Reparaturfähigkeit der Güter und vollziehen schrittweise den Übergang zu einem Dienstleistungsunternehmen. Sobald der definierte Markt weitgehend gesättigt ist, wird die Wertschöpfung von der Produktion auf produktbezogene Dienstleistungen verlagert.
Einzelwirtschaftliche Wachstumsneutralität wird erst vor dem Hintergrund der bestehenden Ansätze der Postwachstumsökonomik sinnhaft. Die Erstellung von Gebrauchsgütern höchster Qualität und Dauerhaftigkeit, der Übergang von der Produktion zur produktbezogenen Dienstleistung ebenso wie eine Wachstumsbegrenzung und Sharing-Konzepte bedeuten allesamt einen Verlust des Bedarfs an Erwerbsarbeit. Ceteris paribus würde unternehmerische Wachstumsneutralität dementsprechend zu nicht wünschenswerten sozialen Problemen führen. Wachstumsneutrales Wirtschaften muss daher durch Maßnahmen wie die Umverteilung von Erwerbsarbeit oder der Entkoppelung von Arbeit und Einkommen flankiert werden. Eine Veränderung der gesellschaftlichen Konsummuster in Form von Verzicht, Subsistenz oder eigentumslosen Nutzungssystemen ist ebenfalls eine notwendige Voraussetzung für das Funktionieren einer Postwachstumsökonomie.
Da eine enge Wechselseitigkeit zwischen Struktur und Akteuren besteht, kann die betriebswirtschaftliche Dimension einer Wirtschaft ohne Wachstum nicht isoliert von den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Meine Forschungsarbeit liefert einen wissenschaftlichen Beitrag zur Schließung der identifizierten Forschungslücke, indem ein betriebswirtschaftlicher Unterbau für die Postwachstumsökonomik in Form einer Theorie der wachstumsneutralen Unternehmung entwickelt wird.
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