Interview mit Prof. Dr. Martin Lindner
Martin Lindner ist Professor für Didaktik der Biologie und Geographie und war Mitorganisator des Buen Vivir-Symposiums an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In seinem Interview im Rahmen des Stream towards Degrowth zeigt er einige Alternativen zur Wachstumsgesellschaft auf.
Stellen Sie sich vor, die Welt erlebt eine Zeit des „guten Lebens“ jenseits des Wachstums. Blicken wir dann, sagen wir im Jahre 2030, auf die vergangenen Jahrzehnte zurück.1. Inwiefern war die Gesellschaft wachstumsabhängig? Die Idee vom Wachstum ist nur EINE Auffassung von Gesellschaft und Wirtschaft. Es gibt daneben andere, auch in Mitteleuropa. Wenn wir tagtäglich mit „Wachstum“ zugedröhnt werden, können wir natürlich nicht mehr sehr viel anders denken. Wir sollten als intelligente Menschen aber andere Konzepte zulassen. Ein einfaches und noch relativ weit verbreitetes ist z.B. das vom Neuen Testament geprägte Bild von der Grundidee: es ist genug für alle da.
2. Welche waren die Hindernisse, die einer Wachstumswende im Wege standen? Wie schon skizziert: eine Dominanz der Wachstumsideologie in den Medien. Natürlich gab es auch Profiteure, die von Wachstum profitieren. Ein ganz simples Beispiel war das steigende Steueraufkommen mit steigenden Einkommen, die „kalte Progression“. Davon profitierten letztlich alle. Ein weiteres lag in der - vermutlich rein menschlichen - Ablehnung von Grundtugenden wie Bescheidenheit, die Bereitschaft zum Teilen, die Fürsorge für Schwächere. Auch da konnte eine gewisse Religiosität helfen.
3. Welchen Beitrag haben Sie für eine Gesellschaft jenseits des Wachstums geleistet? Engagement in Post-Wachstums-Organisationen (Attac, lokale Genossenschaften). Christliche Nächstenliebe und daraus motiviertes Engagement in lokalen und internationalen Beziehungen. Soziale Mietgestaltung als Vermieter. Förderung des bedingungslosen Grundeinkommens. Vertretung des Buen Vivir Konzepts in Forschung und Lehre an der Universität.
4. Was macht für Sie das "gute Leben" innerhalb einer Gesellschaft mit bewusst geringem Produktions- und Konsumniveau aus? Deutlicher Gewinn von Bewusstsein für diese Belange, höhere soziale Austauschkompetenz mit sehr interessanten Menschen (Kommunikation vs. Konsum). Lust am Einsparen von Ressourcen, ohne auf Genuss und Ästhetik verzichten zu müssen. Beispiel: darstellende Kunst in Tanz und Theater vs. Fernsehen und Hochglanzmagazinen. Großzügigkeit im Teilen dessen, was allen gehört.
5. Welche Anzeichen für eine Welt jenseits des Wachstums gab es schon 2014? Höhere Akzeptanz des bedingungslosen Grundeinkommens. Stärkere Verbreitung von Ablehnung des Fernsehkonsums bei vielen Menschen, die ich treffe: Bevorzugung direkter Information vor medial verzerrter Information. Bildung lokaler Gemeinschaften und Genossenschaften. Ausbreitung des Bio-Lebensmittelmarktes. Aber auch in der Technik: Verkleinerung von Computern zu Laptops, Windenergie statt Atomkraft, Grüne Partei in Regierungsverantwortung, ehemalige Anarchisten in verantwortungsvollen Positionen.
Vielen Dank für das Interview, Herr Lindner!Von Nina Treu Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung hat vor kurzem berechnet, dass die Eurokrise Griechenland fast ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung gekostet hat. Das ist die größte erfasste Schrumpfung eines Industrielandes in Friedenszeiten. Zynisch könnte man meinen, dass dies ein Beispiel für Degrowth oder Postwachstum in Europa ist. Ist es a...
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In ihrem neuen Buch “Wachstumswahn – was uns in die Krise führt und wie wir wieder heraus kommen” erklären Christine Ax und Friedrich Hinterberger woher die Wachstumsbegeisterung in der Vergangenheit rührte, widerlegen unterhaltsam und verständlich das Credo, dass es ohne endloses Wachstum nicht geht, und zeigen, warum Wachstum keine zeitgemäße Antwort auf die aktuellen Probleme [...]