Von Andrea Vetter
Auf der Tagung der Attac Gender AG "Schneewittchen rechnet ab" am 3. November 2012 arbeiteten über 100 Teilnehmer_innen gemeinsam dazu, was (queer-)feministische Ökonomie leisten kann. Wo stößt sie an Grenzen und wie kann eine sinnvolle Weiterentwicklung gedacht werden? Welche Alternativen der Arbeit und der Produktion gibt es? Und nicht zuletzt: Wie wollen wir leben? Im Anschluss an die Tagung ist eine Publikation mit Artikeln und Interviews der Referent_innen und Künstler_innen erschienen. Aus einem der Gespräche werden an dieser Stelle in loser Folge Teile veröffentlich. Barbara Muraca und Tanja von Egan-Krieger sprechen in diesem Interview über "Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik". Im zweiten Teil des Interviews steht die Frage im Mittelpunkt, welche alternativen Zielsetzungen von Wirtschaften denkbar sind.
Andrea Vetter: Waren die Argumente, die Sie vorgebracht haben, schon diejenigen, die auch feministische Ökonominnen wie Adelheid Biesecker gegen Wirtschaftswachstum ins Feld führen, oder wie würden sie argumentieren?
Tanja von Egan-Krieger: Die Kritik der feministischen Ökonomie an Wirtschaftswachstum richtet sich vor allem dagegen, dass mit Wirtschaftswachstum das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemeint wird – und BIP-Wachstum misst nur monetäre Transaktionen, die auf dem Markt stattfinden und lässt den ganzen Reproduktionsbereich, das heißt Sorgetätigkeit und Naturproduktivität, außen vor. Deswegen kann das nur als ein Pseudowachstum bezeichnet werden. Ökonominnen wie Adelheid Biesecker reden von einer Krise der (Re)produktivität[1]. Das bedeutet, dass im Prinzip unser ganzes Wirtschaftssystem auf einer doppelten Abstraktion beruht: nicht nur die Abstraktion, von der alle jetzt reden: der Finanzmärkte, bezogen auf die so genannte Realwirtschaft; sondern selbst das, was wir Realwirtschaft nennen, ist auch bereits eine Abstraktion von den eigentlichen produktiven Tätigkeiten, die diese reale Wirtschaft stützen. Und diese produktiven Tätigkeiten sind die lebendige Tätigkeit der Naturproduktivität und der Care-Tätigkeiten, die den so genannten produktiven Sektor der Wirtschaft überhaupt erst ermöglichen. Diese werden zwar vorausgesetzt, d.h. verwertet und genutzt, nicht jedoch in Wert gesetzt. Deswegen schreibt Adelheid Biesecker auch (Re)produktivität mit dem ,re‘ in Klammern, weil sie zeigen will, dass die reproduktiven die eigentlich produktiven Tätigkeiten sind, die aber als bloß reproduktiv behandelt werden und somit außen vorgelassen werden. Daher schlagen viele feministische Ökonominnen ein neues Denken des Wirtschaftens und der Wirtschaft selbst vor und sagen, das Ziel unseres Wirtschaftens kann nicht Wachstum sein, sondern muss ein gutes Leben sein. Das ist ein normatives Prinzip, das in die Zielsetzung des Wirtschaftens hineingebracht wird und den Sinn und Zweck von Ökonomie ganz anders versteht. Das hat natürlich mit einer ganzen Reihe von moralischen und ethischen Vorstellungen zu tun.
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Aber wer kann an diesem gesellschaftlichen Diskurs [über das gute Leben] teilnehmen? Ich habe oft das Gefühl, dass das aktuell in Deutschland ein Diskussions-Phänomen für eine gut situierte Mittelschicht ist, sich zu fragen: Wie wollen wir eigentlich leben, welche Rolle soll Wirtschaftswachstum darin spielen, oder wie stellen wir uns ein gutes Leben vor? Leute, die andere, handfeste, materielle Sorgen haben, diskutieren da im Moment - vielleicht ist das aber auch nur meine Wahrnehmung - nicht wirklich mit. Und das führt dann dazu, dass wohlfeile Ratschläge zur Befreiung vom Güter-Ballast und zu Verzicht als Lebenskunst gegeben werden, und sich eine Hartz-4-Empfängerin vielleicht fragt: worauf bitte soll ich materiell denn noch verzichten?
Barbara Muraca: Das gute Leben bedeutet nicht unbedingt Verzicht. Das mag zwar durchaus Verzicht bedeuten bei den Gutsituierten. Jedoch, wie ich finde, ist die Diskussion über Verzicht an dieser Stelle irreführend. Die Frage des guten Lebens betrifft ja gerade diejenigen, die keinen Zugang zu fundamentalen Bedingungen für ein gutes Leben haben.
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Die Diskussion über Verzicht führt uns wieder zurück auf die Postwachstumsdiskussion: Wie kann man eine Postwachstumsperspektive fassen? Ich würde sie nicht als Verzichtperspektive fassen wollen, sondern als eine Perspektive, die zu alternativen Nutzungs- und Produktionsformen führt. Und diese alternativen Nutzungs- und Produktionsformen würden es auch vielen Menschen, die es sich ökonomisch nicht leisten können, bestimmte Tätigkeiten zu verwirklichen, ermöglichen. Zentral ist dabei das, was im südeuropäischen Postwachstumsdiskurs unter Konvivialität stark betont wird: dass „Solidarität“, „teilen“, „Zusammenarbeit“ viel stärker in den Fokus rücken und damit auch reproduktive Tätigkeiten wieder als zentrale Tätigkeiten der Gesellschaft angesehen werden, die nicht mehr nur durch die monetäre Vermittlung zur Anerkennung führen können.
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