Von den TeilnehmerInnenn der Theoriewerkstatt zu Wachstumszwängen
Überall auf der Welt fahren die Leute gerne Mercedes. Auch andere Produkte „Made in Germany“ sind beliebt. Das herrschende Argument: Gute Qualität überzeugt eben. Deshalb exportiere Deutschland viel mehr als andere Länder.
Im Jahr 2013 soll der deutsche Leistungsbilanzüberschuss (Exporte minus Importe) bei ca. 200 Milliarden Euro liegen. Dabei ist das nichts Neues: Deutschland erwirtschaftet seit Jahrzehnten Exportüberschüsse. Doch die Höhe des Überschusses hat unlängst zu starker Kritik an Deutschlands Wirtschaftspolitik geführt. Zunächst hat sich der Vize-Chef des IWF, David Lipton, zu Wort gemeldet und eine konkrete Exportobergrenze für die deutsche Wirtschaft gefordert.[1] Kritik kam aber auch aus den USA und vor allem von der EU. So hat Deutschland seit Jahren die Obergrenze der EU für den nationalen Außenhandelsüberschuss (6% des BIP) gebrochen und damit laut der Kritik aus Brüssel die Stabilität der Währungsunion gefährdet.[2]
Doch deutsche ÖkonomInnen und PolitikerInnen wehren sich. Der deutsche Stolz auf die eigene Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit lassen die KritikerInnen dabei schnell als Neider dastehen. Die anderen Staaten haben nach dieser Logik einfach etwas falsch gemacht. "Wären nur alle Volkswirtschaften der Eurozone so wettbewerbsfähig wie die deutsche, dann gäbe es die vermaledeite Euro-Krise nicht", paraphrasiert die Süddeutsche Zeitung Merkels Auffassung sinngemäß.[3]
Diese Verteidigung übersieht eine einfache Rechnung: In der Weltwirtschaft steht jedem Überschuss ein Defizit gegenüber. Das bedeutet: der Außenhandelsüberschuss Deutschlands führt zu einem Außenhandelsdefizit in anderen Ländern. Diese Länder importieren zu viel und verschulden sich unweigerlich. Die daraus entstehenden Forderungen – auch von deutscher Seite – können irgendwann nicht mehr bedient werden.[4] Das wäre auf lange Sicht auch für Deutschland problematisch.
Wie konnte Deutschland aber zu dieser vermeintlichen Stärke gelangen? Ein Grund ist sicherlich die Abkoppelung der deutschen Löhne von der Produktivität. Die Produktivität stieg im Zuge des Wachstums stärker als die Löhne, die Tarifverhandlungen wurden von den Gewerkschaften offensichtlich nicht hart genug geführt. Dadurch sank die Binnennachfrage – die Deutschen können sich also relativ weniger leisten – und die Preise stiegen im internationalen Vergleich weniger stark. Die Folge: Deutschland importiert sehr wenig und exportiert immer mehr.[5]
Lösungsvorschläge aus der europäischen und weltweiten Kritik an Deutschland lassen sich hierbei stark vereinfacht auf die Forderung nach mehr deutscher Binnennachfrage reduzieren. Einerseits höhere Löhne und andererseits mehr staatliche Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft würden schlussendlich dazu führen, dass Deutschland mehr importiert bzw. weniger exportiert.[6] Die internationale Kritik zielt also auf ein ausgeglichenes Wachstum aller Länder ab.
Ein ausgeglichenes Wachstum aller Länder im Sinne einer Steigerung der Binnennachfrage wäre also sicher ein Ausweg aus den Problemen, die Exportüberschüsse und mit ihnen einhergehende Defizite nach sich ziehen. Wie dieses ausgeglichene Wachstum zu erreichen ist, bleibt bisher ungeklärt.
Doch kann man aus dieser Analyse auch eine allgemeine Kritik an Wachstum ableiten? Was spricht aus dieser Perspektive nun eigentlich gegen Wachstum? Ansetzen könnte man beim Grund für die schwache Binnennachfrage und das daraus folgende Exportwachstum: dem deutschen Lohndumping. Die Lohnentwicklung wurde nicht der Produktivitätssteigerung, also dem eigentlichen Wachstum, angepasst.
Unsere These lautet: Eine nicht wachsende Wirtschaft würde keine Anpassung der Löhne notwendig machen und damit weniger Möglichkeiten für verstecktes Lohndumping bieten. Gleichwohl gäbe es ohne Wachstum vermutlich weitaus weniger von den oben beschriebenen Ungleichgewichten, die sich als profitabel für die deutsche Exportwirtschaft und als miserabel für konkurrierende Gesellschaften erwiesen haben. Inwiefern diese Thesen haltbar sind, kann hier nicht überprüft werden. Möglich wäre natürlich weiterhin, die Löhne direkt zu senken oder durch die Senkung der Lohnnebenkosten die Arbeitskosten zu senken. Doch das wäre politisch kaum durchsetzbar.
> Kommentieren Sie diesen Artikel auf dem Blog "Postwachstum"Degrowth: lost in plurality? There seems to exist a gap in the degrowth discourse around the question of how to move towards a degrowth society. This brings to our attention an important concept - that of strategy. Here, we will use the word ‘strategy’ to refer to how the ends (i.e. a degrowth society) is achieved by the means. Having spent a number of years probing into the degrowth discourse...
Boris Woynowski und Ludwig Schuster sind aktive Mitglieder des Netzwerkes Wachstumswende. In ihrer Rolle als Mitgründer der Thinkfarm, eines kooperativen Gemeinschaftsbüros in Berlin, haben wir ein Videointerview mit ihnen geführt, das fiktiv im Jahre 2030 spielt und in dem sie gemeinsam auf die schwierige aber spannende Zeit eines gesellschaftlichen Wandels zurückblicken.
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