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Die Stimme der Vernunft im Digitalisierungs-Hype

By: Christiane Kliemann

27.02.2018

Abb 16

Buchrezension "Smarte Grüne Welt?"

Technologien sind schöne Projektionsflächen. Wie die gute (oder böse) Fee im Märchen verkörpern sie häufig, je nach Sichtweise, entweder die Hoffnung auf eine fast magische Lösung unserer Probleme, oder die Bestätigung unserer Ängste. Eine vorurteilsfreie umfassende Auseinandersetzung mit den gesamtgesellschaftlichen Chancen und Risiken neuer Technologien findet jedoch nur selten statt. Bestenfalls hinterher, wenn Risiken längst eingetreten und viele Chancen verspielt sind, wie z.B. die jahrzehntelange Orientierung an der autogerechten Stadt zeigt. So gesehen ist das Buch "Smarte grüne Welt? – Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit" von Steffen Lange und Tilman Santarius für die Digitalisierungsdebatte ein absoluter Glücksfall. Denn was der Degrowth-Community schon seit langem schwant, steht jetzt endlich auf einer solide und umfangreich recherchierten Basis: Eine weit reichende Digitalisierung unter bestehenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ist weder ökologisch nachhaltig, noch führt sie zu mehr sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Teilhabe, eher im Gegenteil. Doch trotz dieser ausführlich belegten Aussage ergeht sich das Buch nicht in genereller Technologiekritik. Es dreht sich vielmehr um die zentrale Frage: "Können die digitalen Möglichkeiten auch für Veränderungen im gesamten Wirtschaftssystem, für eine Transformation des privatwirtschaftlichen Kapitalismus hin zu einer gemeinwirtschaftlichen und demokratischen Ökonomie genutzt werden?"

Digitale Suffizienz: "So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich"

Diese Frage beantworten die beiden Autoren mit einem vorsichtigen "Ja", vorausgesetzt, es handelt sich um eine "Digitalisierung nach menschlichem und ökologischem Maß", die  unter anderem in eine Ökonomie des Genug eingebettet ist. Das Buch skizziert, wie eine solche "sanfte Digitalisierung" aussehen könnte, welche politischen Maßnahmen sinnvoll wären und was die Zivilgesellschaft tun könnte, um sie zu unterstützen. Die ausgearbeiteten Vorschläge verstehen sich jedoch nicht als fertiges Konzept, sondern als Einstieg für eine weiter führende gesellschaftliche Debatte.Basierend auf den Leitlinien einer digitalen Suffizienz, eines konsequenten Datenschutzes und einer Gemeinwohlorientierung nach dem Motto "kollaborativ statt kapitalistisch" verknüpfen die Autoren die Chancen einer so ausgerichteten Digitalisierung mit Politikvorschlägen aus der Debatte um eine sozial-ökologischen Transformation. Dazu gehören vor allem eine ökologisch-digitale Steuerreform für eine  Re-Regionalisierung der Wirtschaft, eine kurze Vollzeit zum Ausgleich für durch Digitalisierung wegfallende Arbeitsplätze und punktuelle Werbeverbote zur Begrenzung einer Konsumausweitung. Flankierend kommen die Unterstützung kooperativer statt kommerzieller Plattformen der Sharing-Ökonomie und der Ausbau der Care-Ökonomie hinzu. Ökologische Vorteile einer Digitalisierung sehen die Autoren vor allem im Bereich der Steuerung dezentral organisierter Stromnetze aus erneuerbaren Energien, in der Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel als Alternative zum Auto und in kollaborativen digitalen Austauschplattformen. Konzepte wie "Smart Home" oder "Smart City" sehen die Autoren in ihrer Ganzheit kritisch – sowohl aus ökologischen, als auch aus datenschutzrelevanten Gründen, wobei sie punktuell durchaus Vorzüge sehen. Es gilt auch hier: "Nicht so viele smarte Geräte wie möglich, sondern so wenige wie nötig".

"Erst nachdenken, dann digitalisieren"

Bezüglich der Wachstumsfrage kommen Lange und Santarius zu keinem klaren Schluss: einerseits skizzieren sie die Möglichkeit, dass die Digitalisierung zu makroökonomischen Wachstumseffekten führen könne – was ökologisch eine Katastrophe wäre. Andererseits könne die Verstärkung der sozialen Ungleichheit, die eine Digitalisierung unter bestehenden Voraussetzungen nach sich zöge, ebenso gut ein solches Wachstum aushebeln. Beides sind zweifellos keine wünschenswerten Szenarien, die laut den Autoren allerdings sehr wahrscheinlich sind, sollte sich die Digitalisierung ungesteuert Bahn brechen. Deshalb fordern sie "erst nachdenken, dann digitalisieren" – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber in der allgemeinen Angst, den Zug der Digitalisierung zu verpassen, als erstes unter die Räder kommt. Deshalb wäre es dem Buch und auch der Welt zu wünschen, dass es DAS Standardwerk für die politische Gestaltung der Digitalisierung wird, denn es repräsentiert die Stimme der Vernunft. Ohne Zweifel kann die Relevanz, die das Thema Digitalisierung für die Zukunft der Menschheit hat, nicht hoch genug gehängt werden – wie Befürworter*innen einer rasanten Digitalisierung nicht müde werden zu betonen. Jedoch liegt das eigentliche Problem eben nicht darin, dass wir "der Technik" oder "der Entwicklung" nicht schnell genug hinterherkommen und deshalb "Wettbewerbsvorteile" verlieren. Es liegt ganz im Gegenteil darin, dass wir es verpassen könnten, den Mechanismen der profitgetriebenen kapitalistischen Wachstumswirtschaft überzeugende Alternativen entgegenzusetzen, bevor es zu spät ist: Bevor diese Mechanismen digitalisierte Selbstläufer werden, die uns sowohl ökologisch, als auch sozial in den kollektiven Ruin treiben.

 

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