Von Ines Küster
Was ist ein gutes Leben und wie kann man ein gutes Leben leben? Eine Frage, die jeder einzelne für sich beantworten muss? Nein, sagen Uwe Schneidewind und Angelika Zahrnt in ihrem Buch „Damit gutes Leben einfacher wird“. Das gute Leben sei auch ein politisches Thema, denn die Politik muss die Bedingungen und Möglichkeitsräume für ein gutes Leben schaffen. Suffizienzpolitik stehe zum einen für eine Ordnungspolitik, die die gesamte Breite aller Wohlstandsfaktoren einbezieht und sich nicht auf ökonomisches Wachstum beschränkt und zum anderen für eine gesellschaftliche aufgeklärte Politikgestaltung, die versteht, dass individuelles Handeln immer in institutionelle und gesellschaftliche Kontexte eingebettet ist.
Wie eine solche Ordnungspolitik aussehen könnte, beschreiben die Autor/innen anhand der vier Bereiche: Ermöglichen, Rahmen, Gestalten und Orientieren, kurz ERGO. Doch damit begeben sie sich auf dünnes Eis: Eine Suffizienzpolitik läuft Gefahr, hohen Ressourcenverbrauch nur wohlhabenden Menschen zu gestatten.Im Abschnitt Rahmen wird die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft thematisiert. Durch eine ökologische Steuerreform soll der Verbrauch von Umweltressourcen verteuert werden und es soll eine Infrastruktur geschaffen werden, die einen suffizienten Lebensstil ermöglicht. Dazu gehören zum Beispiel gut ausgebaute Wege für Radfahrer/innen und Fußgänger/innen und Erholungs- und Bildungseinrichtungen, die für alle zur Verfügung stehen.
Im Abschnitt Ermöglichen wird beispielhaft anhand von Arbeits-, Verbraucher-, Gesundheits-, und Bildungspolitik die Schaffung von Fähigkeiten und Ressourcen erläutert, die es der oder dem Einzelnen jenseits ökonomischen Zuwachses ermöglicht, ein gutes Leben zu führen. Im Bereich der Arbeitspolitik soll der Fokus nicht mehr nur auf Erwerbsarbeit liegen, sondern soziale Sicherungssysteme und Anerkennungs- und soziale Integrationsmuster sollen auch für Nichterwerbsarbeit etabliert werden. Im Bereich der Verbraucherpolitik soll unter anderem eine Verbraucherbildung und –beratung geschaffen werden, die auch den Nichtkauf miteinbezieht. In der Gesundheitspolitik soll Vorsorge gefördert werden und ein Umdenken stattfinden, damit Ärzte nicht mehr nur am kranken Patienten verdienen und es für Pharmaunternehmen, nicht mehr attraktiv ist, wenn neue Krankheiten entstehen. Im Bereich der Bildung sollen Kinder zum Beispiel neben dem Erwerb von Wissen auch lebenspraktische, handwerkliche und musische Tätigkeiten erlernen.
Im Abschnitt Orientieren werden vier Strategien aufgezeigt, um der Steigerungslogik des immer weiter, immer schneller, immer mehr etwas entgegenzusetzen. Dies sind:
Im Abschnitt Gestalten werden konkrete politische Maßnahmen in den Politikfeldern Wohnen, Mobilität und Ernährung gezeigt.
Das Buch zeigt viele interessante Maßnahmen. Viele davon sind keine Überraschung, sondern Ideen die bereits jetzt gefordert werden – auch unabhängig von Suffizienz, zum Beispiel von Umweltschutzorganisationen und Verbraucherschutzverbänden. Dass einige Aspekte nicht nur innerhalb der Suffizienz-Debatte gefordert werden, ist negativ und positiv zugleich.
Auf der einen Seite geht es vor allem um Maßnahmen, die unser bisheriges Wirtschaftssystem nicht in Frage stellen. Deutlich wird das anhand der ökologischen Steuerreform. Alles was schlecht für die Umwelt ist, soll teurer werden. Schneidewind und Zahrnt vertrauen auf die Regulierungsmöglichkeiten von Märkten. Gesellschaftliche Widerstände, mögliche Umverteilungsprozesse und die Frage, ob Suffizienz im Kapitalismus überhaupt möglich ist, werden nicht angesprochen. Wenn eine Veränderung der Nachfrage zu einem suffizienteren Leben und Wirtschaften führen soll, wie werden die Verbraucher/innen davon überzeugt und wie soll mit politischen Widerstand umgegangen werden? Wenn zum Beispiel Flüge teurer werden, führt das zu einem Umdenken hin zu einer anderen Verkehrsmittelwahl oder führt es nur dazu, dass Fliegen immer mehr ein Luxus wird, den sich nur bestimmte Schichten leisten können? Wie soll dafür Sorge getragen werden, dass sich alle Menschen freiwillig für einen suffizienten Lebensstil entscheiden können und nicht aus finanziellen Gründen zum Verzicht gezwungen werden?
Andererseits sind aber genau die Forderungen, die bereits von anderer Seite erhoben werden, eine Möglichkeit, Menschen von einem suffizienteren Lebensstil zu überzeugen. Wer aus ökologischen Gründen ein Tempolimit auf Autobahnen oder die Abschaffung von Massentierhaltung fordert, kann über diese Themen auch einen Zugang zum Thema Suffizienz finden.
Die beiden Autor/innen verstehen das Buch als Anstoß zu einer Debatte darüber, wie die Politik einen suffizienten Lebensstil ermöglichen kann. Durch die Fülle an vorgeschlagenen Maßnahmen ist es das auf jeden Fall.
> Kommentieren Sie diesen Artikel auf dem Blog "Postwachstum"Endlich ist es soweit: Der erste Satz Texte und Videos aus dem Projekt "Degrowth in Bewegung(en)" ist jetzt online. Hier beleuchten Vertreter*innen verschiedenster sozialer Bewegungen das Thema Degrowth und benennen aus ihrer Sicht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Kritikpunkte an Degrowth. Ziel des Projekts ist ein offener Dialog- und Vernetzungsprozess, der den Austausch, das gegense...
ASA ist ein entwicklungspolitisches Lern- und Qualifizierungsprogramm, das seit über 50 Jahren junge engagierte Menschen darin unterstützt, unsere global vernetzte Welt nachhaltig und verantwortungsvoll mitzugestalten. Aktuell ist das Programm auf der Suche nach geeigneten Projekten für den ASA-Zyklus 2015 und möchte hierbei verstärkt Projekte aus dem Bereich Degrowth und/oder Urban Gardening fördern, da dieser Themenkomplex von den Teilnehmenden der [...]
Valentin Thurn ist Regisseur. 2011 kam sein Film "Taste the Waste" in die Kinos und er gründete die Selbstorganisations-Plattform "Foodsharing" mit, auf der überschüssige Nahrungsmittel an andere weiter gegeben werden können. Für den Stream towards Degrowth sprachen wir mit ihm in einem Videointerview fiktiv aus einer Zeit in der Zukunft, die die Steigerungslogik überwunden hat. Das Thema:...