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Zur Debatte um G20 – zur Abwechslung mal was Inhaltliches

By: Nina Treu

14.07.2017

G20 demo rasande tyskar

Was tun, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 20 reichsten Länder der Welt in einer europäischen Großstadt einfinden, um ihre ungerechte Politik in Szene zu setzen? Dieser Frage haben sich zahlreiche linke Organisationen seit letztem Jahr gewidmet. Herausgekommen ist eine bunte Mischung an Protestformen, verteilt über eine Woche. Leider geht die Debatte um den G20-Gipfel aktuell weder um die Inhalte des offiziellen Gipfels noch um die Vorschläge und Forderungen der Gegenseite, sondern um Gewalt. Wir haben im Konzeptwerk lang diskutiert, was wir jetzt kommentieren wollen, denn es gibt viel zu sagen über die Ereignisse letzter Woche. Unser Schwerpunkt liegt nach wie vor auf einer Kritik der herrschenden Verhältnisse und dem Aufzeigen von Alternativen – aber mit Rückbezug auf bestehende soziale Bewegungen und Kämpfe. Daher hier eine Kurzanalyse, was wir vom G20-Gipfel halten, ein Überblick über die verschiedenen Proteste, einige Verweise auf andere Kommentare zur Gewaltdebatte und eine ausführliche Darstellung des Alternativgipfels.

Der G20-Gipfel – eine illegitime Inszenierung der Mächtigen

Zunächst nochmals: Der G20-Gipfel ist eine illegitime Veranstaltung. Hierbei treffen sich die Chefs der 20 reichsten Länder, also die mächtigsten Staatsvertreter*innen der Erde, ohne demokratisches Mandat, um über die Lage der Welt zu diskutieren. Mit nur einem afrikanischen Land (Südafrika), dafür aber umso mehr ehemaligen Kolonialmächten, wird so u.a. über die Zukunft Afrikas und zukünftige Handelsabkommen beraten. Der richtige Ort für internationale Absprachen sind die Vereinten Nationen, wo alle Länder vertreten sind – und nicht ein von den Industrieländern einberufenes Gremium der Reichen. Die G20 könnten sich nicht mal mehr auf interne demokratische Mandate berufen, denn die Mehrheit der vertretenen Staaten sind keine Demokratien (mehr). Und die G20 funktionieren auch nicht: es gibt keine Einigkeit, es werden keine Durchbrüche in den relevanten Themen erzielt. Sie dienen als Vertreter*innen derjenigen, die vom derzeitigen System profitieren. Als Verwaltung eines maroden kapitalistischen Wirtschaftssystems, das keine Lösungen für die multiplen Krisen der Welt bereitstellen kann. Dieses System wird nicht als Ursache der sozialen, ökologischen und demokratischen Probleme der Welt erkannt - somit können logischerweise auch keine sinnvollen Lösungsansätze entwickelt werden. Der Gipfel dient als Inszenierung der Macht der Regierungen der G20-Länder. Srećko Horvat (DiEM25) fasst das auf dem Abschlusspodium des Gipfels der globalen Solidarität in folgende Worte: „Niemand glaubt an die G20, nicht mal sie selbst“. Umso wichtiger sind da Proteste und das Aufzeigen von Alternativen.

Eine Woche im Juli - gemeinsam gegen G20

Seit letztem Jahr wurde der Widerstand gegen diesen Gipfel vorbereitet. In ganz Europa und darüber hinaus wurde mobilisiert. Beim letzten Gipfel dieser Art in Deutschland, dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007, kamen zwischen 50.000 und 80.000 Protestierende zur Großdemo und über 10.000 nahmen an den Blockaden der Zufahrtswege teil. In Hamburg ist es gelungen, diesen Erfolg zumindest zahlenmäßig zu wiederholen: an der Großdemo am Samstag beteiligten sich um die 75.000 Personen. Ein grober Überblick über die Proteste ist hier zu finden. Es gab verschiedenste Demos, Blockaden, Kunstaktionen, inhaltliche Diskussionen, Vernetzung und vieles mehr. Diese Vielfalt geht in der aktuellen Debatte um „linke Gewalt“ leider unter. Unter geht auch die massive Einschüchterung der Aktivist*innen im Vorfeld des Gipfels. Es wurden Demoverbotszonen ausgerufen, Gerüchte über schießwütige Leibwächter der ausländischen Regierungschefs gestreut, Vertreter*innen der verschiedenen Bündnisse in ihren Mobilisierungsmaßnahmen gestört, die Polizei rüstete auf und verhinderte den Aufbau von gerichtlich erlaubten Camps. Und doch: es wurde zahlreich Widerstand geleistet. Zunächst gab es neben der Großdemo am Samstag, 8.7., zu der über 100 Organisationen aufgerufen hatten – u.a. attac, die Interventionistische Linke (IL) und Lokalverbände der Partei die LINKE – noch eine zweite größere Demo, die „Protestwelle“. Am Sonntag zuvor fanden sich ca. 10.000 bis 25.000 Teilnehmende auf den Aufruf von Campact, Oxfam und zahlreichen Umweltverbänden zusammen. Sie wollten sich nicht an der Großdemo beteiligen, aus Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen. Diese Spaltung wurde vom dem sehr breiten Bündnis, das während der Tage des Gipfels nach Hamburg mobilisiert hat, harsch kritisiert. Die „Protestwelle“ ist somit auch nicht Teil des oben genannten Überblicks. Eine Tanzdemo unter dem Motto „Lieber tanz ich als G20“ am Mittwoch, 5.7. mit bis zu 20.000 Menschen war ein wichtiger Moment: Nach der starken Repression während des Aufbaus der Camps war dies ein schöner Abend, an dem viele relativ ungestört ihren Protest zeigen und sogar eine gute Zeit haben konnten. Schwieriger war es für die Demo „Welcome to Hell“, die als Zusammenkommen der autonomen Szene gewertet wurde. Obwohl zum Auftakt über 10.000 Menschen kamen, die mehrheitlich nicht einem „schwarzen Block“ zugeordnet werden konnten und selbst von diesem am Kopf der Demo keine Attacken ausgingen, eskalierte die Polizei die Situation, ließ die Demo nicht laufen und versprengte die Gruppe. Eindrücklich ist dies in diesem Video von Spiegel Online zu sehen. Beeindruckend war auch die Demo der „Jugend gegen G20“, zu der sich im Rahmen eines Bildungsstreiks am Freitag Vormittag 1.500 Jugendliche einfanden. In ihren Reden äußerten sie differenzierte Kritik am Bildungssystem, welches durch Benotung unter den Schüler*innen Druck, Konkurrenz und Verunsicherung schafft (also an meiner Schule war niemand, der mit 18 eine solche Rede hätte halten können – Respekt!). Es gab auch eine große Beteiligung von Studierenden, die Kritik am Universitätssystem, der Umstellung auf Bachelor/Master-Studiengänge und an der zunehmenden Kommerzialisierung der Bildung anbrachten. Ebenfalls für den Freitag hatte das Bündnis „BlockG20“ unter dem Motto „Colour the Red Zone“ zu Blockaden des Gipfels aufgerufen. Im Rahmen dieser Aktion zivilen Ungehorsams versuchten am Freitag Morgen über 1.000 Menschen, am Freitag Nachmittag mehr als 10.000, mit ihren Körpern die Teilnahme am Gipfel zu blockieren. Trotz starken Polizeiaufgebots und dessen repressivem Vorgehen konnten sie einige Erfolge erzielen: Der Gipfel konnte nur mit Verzögerung beginnen. Mehrere Delegationen mussten vor Blockaden umdrehen und andere Wege nehmen. Eine Veranstaltung von Finanzminister Schäuble wurde abgesagt und Melania Trump kam nicht aus ihrer Unterkunft. Dieser friedliche und entschlossene Widerstand ging allerdings in der öffentlichen Wahrnehmung stark unter, denn am Freitag kam es auch zu Ausschreitungen im Schanzenviertel. Was im Schanzenviertel tatsächlich passierte, ist schwierig festzustellen, da die Berichte sehr unterschiedliche Situationen darstellen und die Situation in den Medien extrem hochgeheizt wird. Es ist von „Krawallen“, „Randalen“, „Linksextremismus“, „Hass“, „Viertel zerstört“, sogar von „linkem Terror“ die Rede. Festgehalten werden kann wohl, dass im Schanzenviertel Gebäude und Geschäfte beschädigt und teilweise geplündert wurden, Barrikaden gebaut und ebenso wie Autos angezündet wurden, sowie Flaschen, Steine und andere Gegenstände geworfen wurden. Mit dem sehr späten Einschreiten der Polizei kam es zu Straßenschlachten. Man könnte lange Artikel darüber schreiben und nur das analysieren. Aber weder ist das Schwerpunkt dieses Artikels, noch steht das in Verbindung zur Arbeit des Konzeptwerks, daher nur ein wichtiger Punkt: Wir finden Vergleiche zu Terroristen, die Menschen töten und damit Leben zerstören, falsch. Sachbeschädigung zerstört Sachen, also Eigentum, das ist etwas anderes – gut nachzulesen in diesem Kommentar der FR. Dass das Angst macht, ist verständlich, und ob es sinnvoll ist, darf stark bezweifelt werden – aber dasselbe wie „Terrorismus“ ist es keinesfalls. Bemerkenswert ist hierbei, dass eine ganze Reihe von Gewerbetreibenden aus dem Schanzenviertel betont, dass es in ihren Augen nicht Linke waren, die ihre Läden angriffen – und dass ihnen die Polizei am Meisten Angst machte. Einen Versuch, trotzdem eine politische Strategie hinter den Ausschreitungen nachzuvollziehen, macht Martin Kaul in der taz. Und warum es absurd ist, jetzt nur über linke Gewalt zu reden, zeigt Jakob Augstein in „Die Schuld der anderen - Für Randale gibt es keine Rechtfertigung? Richtig. Nur sind die G20 selbst organisierte Gewalt“ auf. Trotz der Ereignisse im Schanzenviertel konnte die Großdemo „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am Samstag ungehindert stattfinden. Sowohl Polizei als auch Demonstrant*innen blieben ruhig und ermöglichten somit einen starken verbindenden Moment. Mit 75.000 Menschen war es die größte Demo in Hamburg seit den 1980er Jahren. Eindrücke (und ein Spendenaufruf) hier, und ein Interview mit Anmelder Jan van Aken hier.

Der Gipfel der globalen Solidarität zeigt: es gibt viele Alternativen

Zentrales inhaltliches Element der Proteste war der Gipfel der globalen Solidarität, der am Mittwoch und Donnerstag, 5. und 6.7. stattfand. Er brachte um die 2.500 Leute zum Kunstforum „Kampnagel“ und in weitere nahe Gebäude für Austausch, Lernen und Vernetzung. In einer sehr schönen und gelösten Atmosphäre konnte an Infoständen, auf Podien und in Workshops diskutiert werden. Das Konzeptwerk war mit fünf Veranstaltungen vertreten: Quo vadis Postwachstumsökonomie: Sozial-ökologische Transformation in der strategischen Sackgasse? mit Alexis J. Passadakis (Attac), Matthias Schmelzer (Konzeptwerk Neue Ökonomie), Dorothee Häußermann (Ende Gelände) und Charlotte Hitzfelder (Care Revolution Netzwerk); Transformative Bildung – Jetzt aber richtig!? mit Max Frauenlob; Auf Wachstum und Profit fixiert oder sozial, klimagerecht und offen - in welcher Gesellschaft wollen wir leben?!? mit Dorothee Häußermann, Hagen Kopp (kein mensch ist illegal Hanau) und Christopher Laumanns (Konzeptwerk); Degrowth in Bewegung(en) mit Nina Treu und Kai Kuhnhenn, sowie We (don’t) care?! (Teil II): Sorgearbeit im Zentrum einer Postwachstumsgesellschaft mit Andrea Vetter. Wir waren begeistert, wie gut alle unsere Workshops besucht waren und wie vielfältig und interessiert die Teilnehmenden waren. Insgesamt waren viele Medienvertreter*innen unterwegs und der Alternativgipfel wurde (vor Freitag) stark in den Medien aufgegriffen. Er war ein sehr guter Ort für Austausch und Vernetzung, auf dem sowohl eine differenzierte inhaltliche Auseinandersetzung mit G20 als auch das Aufzeigen von Alternativen zur herrschenden Wirtschaftsweise stattfanden. Unserem Eindruck nach bestand das Publikum nicht nur aus den „üblichen Verdächtigen“, die sich bereits gut mit den Themen auskennen, sondern war sehr unterschiedlich - viele waren von weither angereist, ein Großteil kam aus Hamburg. In der Abschlussveranstaltung mit Srećko Horvat (DiEM25, Kroatien), Hans-Jürgen Urban (IG Metall-Vorstand, Deutschland), Jayati Ghosh (Jawaharlal-Nehru-Universität, Indien) und Samir Amin (Ökonom, Ägypten) unter Moderation von Mario Candeias (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Deutschland) herrschte interessanterweise Einigkeit, dass der Kapitalismus am Ende ist. Es gäbe allerdings noch keine Alternative, wodurch ein „Vakuum“ und viele Unsicherheiten entständen. Samir Amin bemängelte das Fehlen von Utopien und strategischem Vorgehen auf allen Seiten – nicht nur bei der Linken! Seiner Analyse nach kommen Rechte an die Macht oder halten sich dort aus taktischem schlauen Vorgehen, aber auch sie bäten ja keine Lösungsansätze und würden sich daher nicht lange halten. Die Sprecher*innen waren sich einig, dass die Lösung der bestehenden sozialen, ökologischen und demokratischen Probleme nur mit einem neuen System möglich sei. Das hieße ein Ende des Imperialismus und gleichberechtige Nord-Süd- bzw. Süd-Nord-Beziehungen. Wir müssten internationale Kämpfe führen, mit lokaler Verankerung, denn ohne die gehe nichts. Von Wachstumskritik oder gar Degrowth war leider nicht die Rede. Dennoch teilen wir die Kritik am stehenden System und der Notwendigkeit nach der Suche nach Alternativen. Und um es mit Urban zu halten: dafür brauchen wir ein linkes Mosaik, mit „politischer Fantasie und progressiven Angeboten“.  

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