Wenn Degrowth heißt, dass wir Menschen uns von den Fesseln des Wachstumszwangs befreien müssen, und wenn Commons-Aktivist*innen sich für mehr Commoning in der Welt einsetzen, dann müssen wir uns wohl folgende Fragen stellen: Von welchem Wachstum gilt es sich zu lösen? Wovon brauchen wir mehr? Wie könnte das gehen? Wer setzt sich dafür ein?
Auf der Akteur*innenebene scheint es ein hohes Maß an gegenseitiger Wahrnehmung und Sympathie zu geben. Insbesondere der kritische und progressive Teil der Degrowth-Bewegung scheint dabei mit dem kapitalismuskritischen Teil der Commons-Bewegung zu harmonieren. Beiden geht es darum, mit alten Mustern zu brechen, die in der Logik des heutigen Gesellschaftssystems begründet sind und bis in die (und durch die) individuellen Handlungs- und Denkgrundlagen wirken. In Degrowth-Kreisen werden Wachstumszwänge angeprangert. Die Commons-Bewegung kritisiert die Verwertungszwänge der heutigen Gesellschaft. Dass beides zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, liegt auf der Hand.
Da sich Degrowth als wachstumskritische Gegenbewegung formierte, stand eine eigene Alternativvorstellung zunächst nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit Commoning hingegen kann eine Welt gedacht werden, in der unsere Lebensbedingungen auf eine nicht kapitalistische Art (re)produziert werden, jenseits von Wachstumszwängen. In diesem Sinne wird Commoning bei der Formulierung einer Postwachstumsgesellschaft vielfach als integraler Bestandteil betrachtet. Vor allem die im Degrowth-Kontext häufig herangezogenen Überlegungen zu Buen Vivir– dem guten Leben – weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit Commons-Ansätzen und -Prinzipien auf.
Es lassen sich jedoch auch Differenzen feststellen. Degrowth-Kreise legen den Fokus auf Resilienz und Suffizienz. Bei Commons sind diese eher implizit enthalten, als offensiv im Sinne der ökologischen Grenzen der Erde diskutiert zu werden. Aus Commons-Perspektive kann wiederum argumentiert werden, dass Teile der Degrowth-Bewegung der kapitalistischen Verwertungslogik nicht kritisch genug gegenüberstehen sowie zu sehr auf staatliche Steuerungsmechanismen setzen. In gewisser Weise handelt es sich hier sowohl um eine (auch in der Theorie angelegte) unterschiedliche Problemfokussierung als auch um eine andere Herangehensweise, was die Frage der Transformationsstrategie anbelangt.
Ein Feld, in dem die Commons-Bewegung von der Degrowth-Bewegung lernen kann, sind die ökologischen Kreisläufe im globalen Zusammenhang. Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass Aktivist*innen der Commons-Bewegung eine Commons-Welt für möglich halten, ist Austausch an dieser Stelle fruchtbar und könnte vor unangebrachtem Optimismus wie auch unrealistischen Szenarien bewahren.
Umgekehrt könnte die Degrowth-Bewegung sich von der Commons-Perspektive inspirieren lassen. Bei Degrowth geht es vielfach um relativ abstrakte Kennziffern zu CO2-Emissionen, Wirtschaftswachstum oder Rohstoffverbrauch, aus denen Konsumkritik und Verzichtsforderungen für den globalen Norden abgeleitet werden. Aus Commons-Perspektive treten strukturell-systemische Veränderungsnotwendigkeiten stärker in den Vordergrund. Kritisiert wird Konsum, der nicht auf Bedürfnisbefriedigung abzielt, sondern auf Status oder Mehrwertproduktion, und es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein volles, genussreiches Leben für alle erreichbar ist. Das heißt, es geht nicht primär um individuellen Verzicht, sondern unter der Prämisse der kollektiven Selbstentfaltung aller darum, wer was, wie und warum herstellt und (ver)nutzt.
Vor dem Hintergrund des Prinzips „Beitragen statt tauschen“ wird die Geld- und Tauschlogik in Commons-Kreisen grundsätzlich kritisiert. Als langfristige Commons-Vision kann wohl eine Gesellschaftsform gelten, die sich vom Tausch als gesellschaftlichem Vermittlungsmodus freimacht. Auch ist in der Commons-Bewegung eine grundsätzlich kritische Haltung staatlichen Institutionen gegenüber vorhanden – nicht nur weil Markt und Staat maßgeblich für diverse Einhegungen verantwortlich gemacht werden, sondern auch weil Commons nicht zentralisiert funktionieren. Dies ist auch eine wesentliche Abgrenzung der Commons-Bewegung zum marxistisch-staatszentrierten Kommunismus. Die Verortung von Commons jenseits von Markt und Staat lässt erahnen, dass die Commons-Aktivist*innen sowohl mit marktwirtschaftlichen als auch mit nationalstaatlichen Prinzipien brechen wollen. Normative Grundlage ist dabei die Ablehnung jeglicher Formen der Herrschaft. Eine stärkere Beachtung solcher Diskurse, die Staat und Markt als gesellschaftsbestimmende Institutionen kritisch diskutieren, könnte die Degrowth-Bewegung bereichern und dazu beitragen, strukturelle Hindernisse für eine Postwachstumsgesellschaft sichtbar zu machen.
Grundsätzliche Technologiekritik, die sich zum Beispiel an Ivan Illich orientiert und sich in Degrowth-Kontexten findet, wird in zeitgenössischen Commons-Kreisen konstruktiv gewendet, indem gefragt wird: Welche Ausgestaltung von Technologien entspricht menschlichen Bedürfnissen und wem nützt Technik wozu? Unter anderem durch die starke Verwurzelung in der digitalen Welt und aufgrund der Beteiligung eher technikaffiner Menschen ist ein gewisser Technologieoptimismus vorhanden. Technologiekritik und Technikoptimismus gehen dabei Hand in Hand: Während die einen sich mit der Kritik an heutigen, als problematisch wahrgenommenen Technologien beschäftigen, entwickeln die anderen neue, die nach anderen Prinzipien, wie Modularität, Reparierbarkeit oder Ressourcenschonung, funktionieren – Prinzipien, die auch mit Degrowth-Ansprüchen vereinbar sind. Das Projekt „Open Source Ecology“ zum Beispiel hat es sich zur Aufgabe gemacht, fünfzig industrielle Maschinen zu bauen, die ein kleines Dorf braucht, damit die Bewohner*innen nachhaltig sowie relativ autark ein gutes Leben führen können.
Wie eingangs erwähnt, scheint viel Degrowth in Commons zu stecken und viel Commons in Degrowth. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Strömungen. Auf Gleichberechtigung abzielende Perspektiven zu Mensch-Natur-Verhältnissen, wie beispielsweise in Umwelt- und Tierschutzkreisen und in verschiedenen Gerechtigkeitsdiskursen, spielen ebenso eine Rolle wie das Ziel eines gleichberechtigten Miteinanders der Menschen, wie es zum Beispiel No-Border-Gruppen fordern, die sich eine Welt ohne Staatsgrenzen wünschen. Insbesondere viele Souveränitätsbewegungen (etwa für Lebensmittelsouveränität) haben viel mit Commons gemein, Auf andere Transformationsbemühungen beziehen sich Commons-Aktivist*innen hingegen mitunter kritisch, etwa wenn die vorgeschlagenen Mittel der Umsetzung im Widerspruch zu den jeweiligen Zielen stehen (zum Beispiel wenn sich hierarchisch organisierte politische Parteien für Commons einsetzen). Ebenso werden Ansätze und Umgangsweisen kritisiert, die die zu überwindenden Logiken – Tausch-, Verwertungs- und Geldlogik – ebenso wie Hierarchien und Zwangsverhältnisse unreflektiert reproduzieren beziehungsweise manifestieren (zum Beispiel die Reformierung des Geldsystems durch alternative Tauschwährungen wie Bitcoin).
Eine Transformationsperspektive, die den Weg in eine Commons-Gesellschaft vordenkt, wird als Keimform-Ansatz beschrieben. Diese Perspektive bildet insbesondere im deutschsprachigen Raum einen wichtigen Bezugspunkt. Vereinfacht gesprochen, geht es um die These, dass eine konsequente Praxis von Commons sich im Hier und Jetzt verbreiten und unter anderem aufgrund der Krisenhaftigkeit des heutigen Gesellschaftssystems dazu in der Lage sein könnte, zur gesellschaftsbestimmenden Logik zu werden. Demnach sind im heutigen Commoning die Potenziale einer Commons-Gesellschaft schon angelegt, wenn auch noch nicht voll entfaltet. Dabei finden sich Commons-Projekte immer der Gefahr ausgesetzt, vereinnahmt zu werden. Verteidigungs-, Aneignungs- und Aushandlungskämpfe von gemeinsam verwalteten Ressourcen sind notwendig, solange der hierarchische Nationalstaat und der kapitalistische Markt mit ihren jeweiligen Logiken dominant sind. Diese Kämpfe werden erfolgreicher sein, wenn sie im Kontext einer starken, gemeinsamen und vor allem emanzipatorischen Bewegung stattfinden.
Eine konkrete postkapitalistische Vision ist eine Welt, die nicht hierarchisch ist, sondern netzwerkartig über funktional differenzierte Verbindungspunkte selbstorganisiert ist und in der die individuellen Bedürfnisse aller Personen durch Commons befriedigt werden können. Diese Welt würde sich zudem durch selbstbestimmte und verantwortungsvolle Tätigkeitsverhältnisse auszeichnen, die Freude und Sinn bringen, ohne Ressourcen zu übernutzen oder Ökosysteme zu zerstören. Die Commons-Bewegung vertraut in die menschlichen Potenziale und übersetzt den Nachhaltigkeitsgedanken in die Sprache menschlicher Bedürfnisse: Es gibt ein Bedürfnis, den Planeten zu erhalten, das nur befriedigt werden kann, wenn wir unsere individuelle wie kollektive Bedürfnisbefriedigung im Einklang mit den Grenzen der Erde organisieren. Commoning ist eine konkrete Art und Weise, mit Menschen und nicht menschlicher Natur umzugehen, die nicht auf einem abstrakten Wachstumszwang aufbaut, sondern anerkennt, dass wir Menschen ein (re)produktiver Teil der Erde sind.
Wir leben in einer endkapitalistischen Welt, in der sich Gegensätze tendenziell eher verschärfen und Konflikte immer brutaler ausgetragen werden. Da ist die Schaffung positiver Perspektiven, das Formulieren und – mehr als alles andere – das Praktizieren einer solidarischen Vision von besonderer Bedeutung. Für die Zukunft erscheint es aus Bewegungsperspektive wünschenswert, dass eine aufeinander abgestimmte Laufrichtung gefunden wird. Gleichwohl sollten auch die inhaltlichen Auseinandersetzungen intensiviert werden, um strategische Fragen offen und kontrovers zu diskutieren. Nur so kann vermieden werden, dass die unterschiedlichen Strömungen unverbunden nebeneinander stehen, und wird dafür gesorgt, eine Verbundenheit in Vielfalt entstehen zu lassen. Als gemeinsames Dach könnte sich ein emanzipatorisch verstandener, den Kapitalismus überschreitender Begriff der „sozial-ökologischen Transformation“ anbieten. -------------------------------------------
Dies ist eine gekürzte Version des Beitrags der Commons-Bewegung zu unserem Projekt Degrowth in Bewegung(en). Hier geht es zum vollständigen Artikel
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